Die von Verkehrsminister Dobrindt eingesetzte Ethikkommission hat ihre Leitlinien für autonomes Fahren präsentiert. Die Essenz: Was auch immer automatisiert wird, am Ende zählt der Mensch.
Automatisiertes Fahren ist die Zukunft - darin scheinen sich auch die Experten einig zu sein. Doch wie soll sie aussehen und was dürfen/müssen die selbstfahrenden Autos der Zukunft können? Diese Frage wollte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) geklärt haben und setzte im September vergangenen Jahres zu diesem Zweck eine Ethikkommission ein. Eben jene hat nun ihren Bericht vorgelegt, wie das Ministerium am Dienstag bekannt gab.
Darin formuliert das Experten-Gremium unter Leitung des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio, welches sich aus 14 Wissenschaftlern und Experten aus den Fachrichtungen Ethik, Recht und Technik zusammensetzte, 20 "ethische Regeln für den automatisierten und vernetzten Fahrzeugverkehr". Unter den Mitgliedern fanden sich neben Di Fabio unter anderem Kay Nehm, Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstags und Generalbundesanwalt a.D., Strafrechtsprofessor Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf von der Universität Würzburg und der Internet- und Sicherheitsrechtler Prof. Dr. Dirk Heckmann von der Universität Passau.
"Die Ethik-Kommission im BMVI hat dafür absolute Pionierarbeit geleistet und die weltweit ersten Leitlinien für automatisiertes Fahren entwickelt. Damit bleiben wir international Vorreiter für die Mobilität 4.0", erklärte Dobrindt bei der Vorstellung des Berichts. Di Fabio sprach von "besonderen Anforderungen", welche die Thesen im Hinblick auf Sicherheit, menschliche Würde, persönliche Entscheidungsfreiheit und Datenautonomie stellten.
Was tun in einem Dilemma?
Im Kern aber kommt man zu dem Schluss, dass autonomes Fahren auch unter ethischen Gesichtspunkten durchaus praktikabel ist. Es könne sogar geboten sein, wenn nämlich die Systeme weniger Unfälle verursachten als menschliche Fahrer, heißt es in dem Bericht. Dabei müsse der Schutz von Menschen aber stets Vorrang vor allen anderen Nützlichkeitserwägungen haben. Diese "positive Risikobilanz" gilt den Experten gar als zwingende Voraussetzung für die Zulassung von automatisierten Fahrsystemen.
Eine der prominentesten und gleichzeitig umstrittensten Fragestellungen im Bezug auf selbstfahrende Fahrzeuge lautet: Was soll die Maschine in einem unausweilichen Dilemma tun? Gemeint ist eine Situation, in der sie zwischen zwei nicht gegeneinander abwägbaren Rechtsgütern eines auswählen müsste, welches sie verletzt. Beispielsweise könnte eine Situation entstehen, in der klar ist, dass in jeder Handlungsalternative höchtswahrscheinlich ein jeweils anderer Mensch ums Leben käme.
In solchen Situationen sei jede Qualifizierung von Menschen nach persönlichen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, körperliche oder geistige Konstitution unzulässig, so die Experten. In einer extremen und vermutlich sehr seltenen Situation wie der oben beschriebenen dürfte also nicht dem Leben eines kleinen Kindes der Vorzug vor dem eines alten Mannes gegeben werden.
2/2: Blackbox soll Haftungsfragen erleichtern
Gleichwohl gesteht die Kommission ein, dass Maschinen "auf eine komplexe oder intuitive Unfallfolgenabschätzung nicht so normierbar" seien, dass sie die Entscheidung eines "sittlich urteilsfähigen, verantwortlichen Fahrzeugführers" ersetzen könnten.
Ziel müsse aber sein, solche Situationen gar nicht erst entstehen zu lassen. Dazu solle "das gesamte Spektrum technischer Möglichkeiten" ausgenutzt werden, einschließlich "intelligenter" Straßen-Infrastruktur.
Eine wichtige Frage im Zusammenhang mit autonomen Fahrzeugen, die möglicherweise Schäden anrichten, ist die nach der Haftung. Wer ist dafür verantwortlich, wenn eine Maschine scheinbar selbstständig eine Person oder eine Sache verletzt? Dazu forderte die Kommission, dass immer klar geregelt und erkennbar sein müsse, wer für die Fahraufgabe zuständig sei: der Mensch oder der Computer. Außerdem müsse dokumentiert und gespeichert werden, wer gerade fahre. So sieht es auch der im Januar verabschiedete Gesetzentwurf zum autonomen Fahren vor, der eine Blackbox in den Autos verlangt.
Datenhoheit soll gewährleistet bleiben
Im Übrigen gelten aber die Grundsätze der Produkthaftung. Daraus folge, so die Kommission, dass Hersteller oder Betreiber verpflichtet seien, ihre Systeme fortlaufend zu optimieren und auch bereits ausgelieferte Systeme zu beobachten und zu verbessern, wo dies technisch möglich und zumutbar sei.
Ein wichtiger Punkt, den die Experten ebenfalls behandelten, war die Frage der Datensouveränität, also welche Verkehrsdaten wann und an wen weiter gegeben werden. Dazu stellten sie fest, dass Fahrzeughalter grundsätzlich selbst über die Weitergabe und Verwendung ihrer anfallenden Fahrzeugdaten entscheiden können müssten. Einer "normativen Kraft des Faktischen", wie sie etwa beim Datenzugriff durch die Betreiber von Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken vorherrsche, solle frühzeitig entgegengewirkt werden.
Maximilian Amos, Kommission stellt Leitlinien für autonomes Fahren vor: Im Zweifel für den Menschen . In: Legal Tribune Online, 21.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23246/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag