Die polnische Justizreform wird heftig kritisiert, es gingen auch mehrere Beschwerden an den EGMR. Dieser setzt sich nun mit den Anträgen auseinander - und schickte einen umfangreichen Fragenkatalog nach Polen.
Polen muss dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Rede und Antwort zur Unabhängigkeit seiner Justiz stehen. Zu fünf Fällen seien unlängst Fragen an Polen geschickt worden, teilte das Gericht am Montag mit. Vor allem geht es dabei um den sogenannten Landesjustizrat - ein Gremium, das aus Sicht von Regierungskritikern mittlerweile unter der Kontrolle der Politik steht.
Das Gericht teilte außerdem mit, dass Beschwerden gegen Teile der polnischen Justizreform nun vorrangig behandelt würden. Der EGMR stufte die Verfahren seiner "Priority Policy" entsprechend als "urgent cases" ein. Unter diese höchste Dringlichkeitsstufe fallen Fälle, die ein Risiko für Leben oder Gesundheit der Antragsteller darstellen, in denen es durch Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu Freiheitsentzügen kommt oder in denen es um Umstände geht, die in direkter Verbindung mit der persönlichen oder familiären Situation der Antragsteller stehen.
Die Fälle in Straßburg beziehen sich entweder auf Entscheidungen des Landesjustizrats oder fechten die Unabhängigkeit einzelner Richter an, die nach einer Empfehlung des Gremiums ernannt wurden. Im Mittelpunkt steht Art. 6 der EMRK, in welchem das Recht auf ein faires Verfahren geregelt ist. In allen Fällen geht es um die Kernfrage, ob die Klagen in Polen von einem "unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht" gehört wurden, wie es Art. 6 EMRK fordert.
Kritik an der Reform – auch vom EuGH
Kritiker der nationalkonservativen PiS-Regierung argumentieren, dass der Landesjustizrat kein politisch unabhängiges Gremium mehr sei, seit seine ursprüngliche Zusammensetzung 2018 mithilfe der PiS-Parlamentsmehrheit geändert wurde. Vor der Reform wurde die Mehrheit der Mitglieder des Landesjustizrates nicht vom Parlament, sondern von anderen Richtern ernannt. Erst kürzlich beschäftigte sich in einem Vorlageverfahren auch der Europäische Gerichtshof mit dem Landesjustizrat und bewertete das Verfahren zur Besetzung des Obersten Gerichtshofs in Polen als unionsrechtswidrig (Urt. v. 02.03.2021, Az. C-824/18).
Bisher wurden nur die Fragen des Gerichts an die Parteien versandt. In diesen Fragen geht es unter anderem um die Umsetzung und Einhaltung von Maßnahmen zur Sicherung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte sowie deren Einrichtung durch Gesetz. Auch Fragen zum Landesjustizrats im Zusammenhang mit den Grundsätzen des Rechtes auf ein faires Verfahren werden gestellt. Entscheidungen in der Sache hat der EGMR noch nicht getroffen, wann damit zu rechnen ist, ist noch nicht klar.
ast/LTO-Redaktion mit Materialien der dpa
EGMR: . In: Legal Tribune Online, 10.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44930 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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