EGMR-Urteil: Kein neues Strafverfahren für Magnus Gäfgen

01.06.2010

Die Große Kammer des EGMR bejaht in ihrem Urteil mit elf zu sechs Stimmen eine konventionswidrige Behandlung Gäfgens während seiner Befragung durch die Polizei, bewertet das Verfahren im Ganzen aber als fair. Ein neues Strafverfahren im Fall Gäfgen scheidet damit aus.

Durch die Androhung von Gewalt während des Verhörs von Gäfgen in Zusammenhang mit der Entführung des Bankierssohns Jakob von Metzler ist nach Ansicht der Gerichts gegen das Verbot der Folter und unmenschlicher Verhandlung aus Art. 3 EMRK verstoßen worden. Zwar habe die Verhörmethode keinen Schweregrad erlangt, der als Folter gelten könne, stelle aber eine unmenschliche Behandlung dar.

Auch den fortbestehenden Opferstatus bejaht die Große Kammer und ist insofern anderer Auffassung als die Kleine Kammer, welche von einer hinreichenden Anerkennung eines Verstoßes durch die deutschen Gerichte und einer ausreichenden Genugtuung durch die Verurteilung der handelnden Polizisten sowie das noch anhängige Amtshaftungsverfahren ausgegangen war.  Die Große Kammer hält dies hingegen für nicht ausreichend und weist darauf hin, dass auch die Dauer des Amtshaftungsverfahrens (bisher mehr als drei Jahre) Zweifel an der Effizienz des Verfahrens aufkommen lasse.

Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK verneinten die Richter aber wie auch schon die Kleine Kammer weiterhin. Denn im Strafverfahren seien nicht die während des Verhörs gemachten Aussagen Gäfgens, sondern nach Belehrung über die Unverwertbarkeit dieses durch Androhung unmittelbaren Zwangs erlangten Geständnisses ein weiteres, im Rahmen der Hauptverhandlung von Gäfgen nach eigenen Angaben freiwillig, aus Reue und um Verantwortung für seine Tat zu übernehmen, abgelegtes Geständnis verwertet worden.

Die Richter begründeten diese Ansicht damit, dass der Schutz und die Fairness des Verfahrens insgesamt nur dann auf dem Spiel stünden, wenn die durch Folter erlangten Beweismittel Einfluss auf die Verurteilung und das Strafmaß haben. Dies sei aber bei dem Strafverfahren gegen Gäfgen nicht der Fall gewesen. Damit besteht keine Grundlage für ein neues oder eine Wiederaufnahme des bereits geführten Strafverfahrens.

hho/LTO-Redaktion

 

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Zitiervorschlag

EGMR-Urteil: . In: Legal Tribune Online, 01.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/623 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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