Weil er aufgrund von Zeugen verurteilt wurde, die vor Gericht nicht mehr befragt werden konnten, zog ein Georgier vor den EGMR. Der gab ihm nun Recht: das deutsche Strafurteil verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
Der Beschwerdeführer war 2008 von einem deutschen Gericht wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. In einem der Fälle stützte sich das Gericht wesentlich auf die Aussagen zweier Zeuginnen und Geschädigten der von ihm begangenen Straftat, die diese im Ermittlungsverfahren gemacht hatten. Bei den Befragungen war der spätere Verurteilte nicht zugegen - und auch kein Anwalt. Kurz darauf hatten die Zeuginnen – zwei lettische Prostituierte, die "nur zeitweise in Deutschland lebten" – das Land verlassen und sich anschließend geweigert, zurückzukehren und in der Verhandlung auszusagen. Auch eine Fernbefragung per Videokonferenz sagten die beiden Frauen kurzfristig ab. Dabei beriefen sie sich auf eine ärztlich attestierte Traumatisierung durch das an ihnen verübte Verbrechen.
Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) berief sich der Verurteilte seinerseits auf Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Sein Verfahren sei unfair gewesen, da weder er noch sein Anwalt die Möglichkeit gehabt hätten, die einzigen unmittelbaren Zeuginnen der angeblich von ihm begangenen Straftat zu befragen. Die Große Kammer des EGMR gab ihm mit knapper Mehrheit von einer Stimme Recht.
In Anbetracht der späteren gerichtlichen Gewichtung der Zeugenaussagen für die Verurteilung des Mannes, seien die Maßnahmen des Gerichts zur Gewährung eines fairen Verfahrens unzureichend gewesen. Insbesondere sei die Bewertung der Zeugenaussagen nicht in angemessener Weise möglich gewesen. Erschwerend komme hinzu, dass dem Mann seinerzeit nicht - wie nach deutschem Recht möglich - ein Rechtsbeistand beigeordnet worden war, der der Vernehmung der Zeugen durch den Untersuchungsrichter hätte beiwohnen können. Durch das Unterlassen dieser "Sichheitsmaßnahme" hätten die deutschen Behörden das vorhersehbare Risiko in Kauf genommen, dass die beiden Zeuginnen ausreisen und für eine Befragung durch den Verurteilten nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch dies habe entscheidend zur Verhinderung eines fairen Verfahrens im Sine des Artikels 6 EMRK beigetragen (Urt. v. 15.12.2015, Az. 9154/10, Schatschaschwili gegen Deutschland).
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte eine Verfassungsbeschwerde des Mannes gegen das Urteil 2009 nicht zur Entscheidung angenommen.
mbr/LTO-Redaktion
EGMR verurteilt Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 15.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17873 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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