Auch älteren Frauen ist Sex wichtig, urteilte der EGMR und rügte die portugiesische Justiz. Die reduzierte nämlich eine Entschädigung, weil Einschnitte in die Sexualität bei Frauen eines gewissen Alters nicht mehr so gravierend seien.
Die Versagung einer Entschädigung für eine fehlerhafte gynäkologische Operation verstößt im Falle einer 50-jährigen Portugiesin gegen das europäische Diskriminierungsverbot. Das stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem Urteil fest (v. 25.07.2017, Az. 17484/15).
Nach einer fehlerhaften gynäkologischen Operation (OP) im Mai 1995 litt die Frau unter starken Schmerzen und klagte über Gefühlsverlust in der Vagina, Inkontinenz, Schwierigkeiten beim Stehen und Sitzen sowie beim Geschlechtsverkehr. Dies war auf eine Nervenverletzung durch die OP zurückzuführen. Aus diesem Grund verlangte sie vom Krankenhaus, in dem sie behandelt worden war, eine finanzielle Entschädigung.
In der ersten Instanz bekam sie insgesamt 96.000 Euro zugesprochen, in der letzten Instanz reduzierte das erkennende Gericht die Entschädigung jedoch auf 56.000 Euro. Dies begründete es zum einen damit, dass die Beschwerden nicht ausschließlich auf der Operation beruhten und dass sie keine Vollzeitbetreuung für ihre Kinder benötige, da diese bereits alt genug seien. Letztere war ursprünglich in den Schadensersatz mit einberechnet worden.
EGMR kritisiert bestehende Vorurteile in der portugiesischen Justiz
Zum anderen führte das Gericht an, die Einschränkung im Sexualleben durch die OP-Folgen sei nicht so gravierend. Schließlich sei die Klägerin bei der OP bereits 50 Jahre alt und Mutter zweier Kinder gewesen. In ihrem Alter sei Sexualität nicht mehr so wichtig. Die Frau wandte sich daraufhin an den EGMR und beklagte eine Diskriminierung, weil die Wichtigkeit des Sexuallebens für eine Frau ihres Alters verkannt worden sei.
Dem folgte der EGMR in seinem Urteil mit fünf zu zwei Stimmen: Bei der Entscheidung aus Portugal handele es sich um eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes aus Art. 14 in Verbindung mit dem Schutz des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 der EU-Grundrechte-Charta, befand die Kammer. Alter und Geschlecht der Klägerin hätten für die Entscheidung des portugiesischen Gerichts eine entscheidende Rolle gespielt - und zwar zu Unrecht
Die Entscheidung sei von der generellen Überzeugung getragen gewesen, dass Sexualität für eine Frau dieses Alters nicht so wichtig sei wie für eine jüngere Frau. Zudem stellten die Richter fest, dass dies einen Rückschluss auf allgemein bestehende Vorurteile in der portugiesischen Justiz zulasse.
Bei Männern anders entschieden
Weiter führte der Gerichtshof aus, dass der Gleichstellung der Geschlechter in Europa eine große Bedeutung zukomme, weshalb für eine Differenzierung zwischen ihnen sehr gute Gründe sprechen müssten. Solche könnten gerade nicht Traditionen und verbreitete Einstellungen sein.
Das erkennende Gericht habe die physische und psychische Wichtigkeit des Sexuallebens für eine Frau ab 50 ignoriert, so die Richter. In zwei vergleichbaren Fällen aus 2008 und 2014, die Männer betroffen hatten, habe die portugiesische Justiz sie dagegen durchaus anerkannt.
Die Entschädigung, die der EGMR der Klägerin für die Diskriminierung zusprach, fiel indes nicht üppig aus: 3.250 Euro muss der Staat Portugal als Ersatz für nicht-monetäre Schäden an die Frau leisten, hinzu kommen 2.460 Euro für Prozesskosten.
mam/LTO-Redaktion
EGMR zu Diskriminierung in Portugal: . In: Legal Tribune Online, 26.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23623 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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