Weil er an einer Beerdigung von PKK-Mitgliedern teilgenommen hatte, wurde ein Student in der Türkei wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt. Der EGMR fand dazu nun klare Worte.
Das Leben des jungen Mannes liegt heute in Trümmern: Jahrelang saß er im Gefängnis, sein Studium konnte er nie abschließen. Und das alles, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war - so weit reicht jedenfalls die Beweislage gegen ihn. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinem Fall nun entschieden und die Türkei wegen Verletzung von Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention verurteilt (Urt. v. 14.11.2017, Az. 41226/09).
Die Vorgänge, mit denen sich der Gerichtshof dabei zu beschäftigen hatte, liegen lange vor der Zeit, in der die Türkei vor den Augen der Welt Dutzende Richter und Journalisten inhaftiert und Andersdenkende einschüchtert. Und doch wirkt das Urteil über den Einzelfall hinaus und wirft ein Licht auf das türkische Justizsystem im Ganzen.
Im März 2006 hatte der Mann an einer Beerdigungs-Zeremonie für vier von Sicherheitsbehörden getötete Mitglieder der kurdischen Arbeiterpartei PKK teilgenommen, die für zahlreiche terroristische Aktivitäten in der Türkei verantwortlich gemacht wird und neben der Türkei auch in Deutschland verboten ist. Im Anschluss daran hatten rund 1.000 Personen an einer illegalen Demonstration teilgenommen, bei der auch Steine auf Polizeikräfte geworfen und Gebäude beschädigt wurden.
Ein zweiter Vorfall ereignete sich im März 2007, als an der Dicle-Universität im türkischen Diyarbakir eine Demonstration stattfand, bei der eine Gruppe von 40 Leuten in das Gebäude eingedrungen war und dort eine Pressekonferenz abgehalten, sowie PKK-Parolen gerufen hatte.
Vier Jahre und acht Monate in Haft
Nachdem der Student zunächst bestritten hatte, bei den fraglichen Ereignissen anwesend gewesen zu sein, räumt er dies schließlich ein, als Ermittler ihm Fotos zeigten, die seine Darstellung widerlegten. Er gab daraufhin an, der Beerdigung beigewohnt zu haben, weil einer der Getöteten ein Verwandter eines Freundes gewesen sei. Er habe aber keine Polizisten angegriffen. Bei den Vorfällen an der Universität sei er nur dabei gewesen, habe aber keine PKK-Parolen gerufen.
Schließlich wurde er noch im gleichen Jahr wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation und Propaganda für die PKK zu jeweils sechs Jahren und drei Monaten, bzw. einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Die zweite Verurteilung wurde später aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben. Zwischenzeitlich wurde der Mann von seiner Universität exmatrikuliert, da er sein Studium nicht hatte fortsetzen können. Im November 2011 wurde er nach vier Jahren und acht Monaten in Haft entlassen.
Der EGMR stellte auf seinen Antrag hin nun eine Verletzung der EMRK durch das bestehende Strafurteil fest. Es stelle einen ungerechtfertigten Eingriff in die Versammlungsfreiheit aus Art. 11 Abs. 1 dar. Die Strafe sei nicht hinreichend vorhersehbar gewesen, so die Straßburger Richter. Nach Art. 220 § 6 des türkischen Strafgesetzbuches soll jeder wegen der Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation bestraft werden, der für diese eine Straftat begeht, auch wenn er kein Mitglied ist.
Verurteilung wegen bloßer Anwesenheit
Dies schütze aber die Versammlungsfreiheit nicht in ausreichendem Maße vor willkürlicher Beschränkung durch den Staat, stellte der Gerichtshof fest. Der Beschwerdeführer sei bloß aufgrund seiner Anwesenheit bei beiden Vorfällen verurteilt worden. Die Kriterien für eine Strafbarkeit nach der Norm seien vom erkennenden türkischen Gericht zu seinem Nachteil weit ausgelegt worden.
Zwar seien Fakten erkennbar, welche ihn mit einer Straftat in Verbindung bringen könnten, gaben die Richter zu. Bei der Urteilsfindung sei aber wenig Wert darauf gelegt worden, die Rechte des Mannes ausreichend zu wahren. So sei kein Unterschied zwischen ihm, einem friedlichen Demonstranten, und einem Mitglied der PKK, welches innerhalb der Organisation Straftaten begangen habe, gemacht worden.
Wenn Demonstranten sich dem Risiko einer solchen Bestrafung ausgesetzt sähen, so habe dies einen stark abschreckenden Effekt auf Personen, die von ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen wollten.
Die Entschädigung, die dem Verurteilten neben dem Ersatz seiner Prozesskosten zugesprochen wurde, beträgt 7.500 Euro.
mam/LTO-Redaktion
EGMR verurteilt Türkei: . In: Legal Tribune Online, 15.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25525 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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