Durchsuchungen in sieben Bundesländern: Raz­zien bei "Letzte Gene­ra­tion" und Home­page abge­schaltet

24.05.2023

Die Polizei hat in sieben Bundesländern Objekte der Aktivistengruppe "Letzte Generation" durchsucht, deren Homepage wurde abgeschaltet. Der Vorwurf: Spendensammeln für eine kriminelle Vereinigung. Diese Einstufung bleibt umstritten.

Mit einer großangelegten Razzia sind Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittwoch gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten ab dem frühen Morgen 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt mitteilten.

Betroffen waren Objekte in sieben Bundesländern, konkret in Hessen im Landkreis Fulda, in Hamburg, Sachsen-Anhalt (Magdeburg), Sachsen (Dresden), Bayern (Augsburg und München), Berlin und im Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein. Laut dpa-Informationen wurden Konten und auch die Homepage der Gruppe beschlagnahmt und abgeschaltet. 

Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte, die zwischen 22 und 38 Jahre alt sind. Festnahmen gab es zunächst nicht. Zwei der Verdächtigen stehen den Ermittlern zufolge im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren. 

Vorwurf: Spendensammeln für kriminelle Vereinigung

Zentraler Vorwurf im Zusammenhang mit den Durchsuchungen ist laut Polizei und Generalstaatsanwaltschaft, dass die Beschuldigten eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die Letzte Generation organisiert und so mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt haben sollen. Dieses Geld sei nach bisherigen Erkenntnissen "überwiegend auch für die Begehung weiterer Straftaten" eingesetzt worden. Woher das Geld stamme, sei Gegenstand der Ermittlungen. Wie viel davon beschlagnahmt wurde, sagte die Polizei zunächst nicht. Ziel der Durchsuchungen sei auch "das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur" gewesen, hieß es. 

Angesiedelt sind die Ermittlungen bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München betonte aber, dass das nicht bedeute, dass man die Letzte Generation als extremistisch oder terroristisch einstufe. "Wir gehen nach jetzigem Ermittlungsstand davon aus, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt - wohlgemerkt nicht um eine terroristische", sagte der Sprecher. Dies wolle man gerichtlich prüfen lassen.  

Ist die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung?

Die Frage nach der Einstufung der "Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Strafgesetzbuch (StGB) ist umstritten und bislang gerichtlich nicht geklärt. Bejaht wurde von einigen Gerichten ein Anfangsverdacht. Gegenstimmen verweisen hingegen darauf, dass der Straftatbestand des § 129 StGB nach BGH-Rechtsprechung eine Erheblichkeitsschwelle überschreiten müsse und "terrorismusähnliches" Handeln erfordere. Diese Schwelle sei bislang wohl nicht überschritten, so etwa der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner.

Befürworter der Einstufung als kriminelle Vereinigung verweisen auf den Wortlaut des § 129 StGB, der seit einer Gesetzesänderung von 2017 erfüllt ist, wenn Zweck oder Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit einer Mindestfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind, so etwa Ex-Bundesrichter Thomas Fischer in seiner LTO-Kolumne. Diese Mindesthöchststrafe von zwei Jahren ist bei der Nötigung nach § 240 StGB – die von den meisten Gerichten im Falle von Straßenblockaden bejaht wird – gegeben. Denn die Höchststrafe beträgt dort drei Jahre. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/11275, S. 10) soll indes weiter eine ungeschriebene Erheblichkeitsschwelle geprüft werden. Ob dies möglich ist, wird wiederum europarechtlich angezweifelt.

Doch auch wenn man eine solche ungeschriebene Erheblichkeitsschwelle fordert, stellt sich angesichts der Vielzahl der inzwischen von Gerichten angenommenen Deliktsverwirklichungen durch die Klimagruppe die Frage, ob diese nicht bereits überschritten ist. Aus Sicht der Generalstaatsanwaltschaft München und des Bayerischen Landeskriminalamts ist dies offenbar der Fall. Sie verweist auf den Hintergrund der Razzien nämlich zahlreiche Strafanzeigen aus der Bevölkerung seit Mitte des vergangenen Jahres. 

Kritik und Unterstützung für Durchsuchungen

Klimaschutzaktivisten reagierten mit scharfer Kritik. Die Gruppe Ende Gelände kritisierte auf Twitter, Razzien gebe es bei denen, "die vor der Klimakrise warnen, und nicht bei denen, die dafür verantwortlich sind". Die Letzte Generation selbst fragte auf Twitter, wann Lobbystrukturen durchsucht und "fossile Gelder der Regierung" beschlagnahmt würden.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft begrüßte die Durchsuchungen. "Die Justiz greift durch, das ist das richtige Signal eines wehrhaften Rechtsstaates", sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt in Berlin.  

Der stellvertretende Vorsitzende der Linken, Lorenz Gösta Beutin, nannte die Razzien völlig überzogen. Die Menschen, die sich der sogenannten Letzten Generation zurechneten, setzten auf friedlichen zivilen Ungehorsam, um auf die Klimakatastrophe und das Versagen der Bundesregierung aufmerksam zu machen.

In den vergangenen Wochen war die Kritik an den Aktivisten immer schärfer geworden. Autofahrer schlugen und traten die Protestierenden des Öfteren und schleiften sie ruppig von der Straße, und das Landgericht Potsdam bestätigte erstmals den Anfangsverdacht, dass die Gruppe eine kriminelle Vereinigung sein könnte. Diese Woche äußerte sich auch Kanzler Olaf Scholz extrem kritisch und nannte die Anklebe-Aktionen der Gruppe "völlig bekloppt". 

fz/dpa/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Durchsuchungen in sieben Bundesländern: . In: Legal Tribune Online, 24.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51839 (abgerufen am: 15.11.2024 )

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