Der deutsche Journalist Deniz Yücel ist wieder frei und darf die Türkei wohl verlassen. Über ein Jahr hatte er dort ohne Anklage in Haft verbracht. Inzwischen liegt auch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vor.
Am Mittwoch erst jährte sich der Tag seiner Inhaftierung, nun ist Deniz Yücel, deutscher Journlist der Tageszeitung Die Welt, aus dem Gefängnis entlassen worden. Über ein Jahr hatte er zuvor in türkischer Untersuchungshaft verbracht, eine Anklage hatten die Justizbehörden in der gesamten Zeit nicht vorgelegt.
"Und endlich gibt es für meinen Mandanten Deniz Yücel einen Entlassungsbefehl", twitterte am Freitag auch Yücels Verteidiger Veysel Ok, nachdem die Welt zunächst die Freilassung vermeldet hatte. Auch die Bundesregierung bestätigte, dass Yücel das Gefängnis verlassen habe. "Jetzt müssen wir natürlich abwarten, was in den nächsten Minuten, Stunden passiert", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes.
Wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu vermeldete, ordnete das zuständige Gericht die Freilassung Yücels an, nachdem die Staatsanwaltschaft endlich eine Anklageschrift vorgelegt hatte. Demnach soll die Istanbuler Staatsanwaltschaft wegen "Propaganda für eine Terrororganisation" und "Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit" zwischen vier und 18 Jahre Haft für den Welt-Korrespondenten fordern. Das Gericht habe die Anklageschrift angenommen und Yücel dann aus der Untersuchungshaft entlassen. Wie es aussieht, darf er das Land auch verlassen. Das sei sein Informationsstand, erklärte der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) am Freitag am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz.
Yücel legte Beschwerde beim EGMR ein
Yücel hatte sich am 14. Februar 2017 freiwillig gestellt, nachdem die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte. Ihm wurde Propaganda für die PKK, die Gülen-Bewegung sowie Volksverhetzung vorgeworfen. Der Journalist selbst hatte zuvor gemutmaßt, sich durch kritische Berichterstattung über die türkische Regierung dort in Gefahr zu begeben. In einem Text aus dem Gefängnis im Mai 2017 schrieb er: "Mir war bewusst, welchen Preis man immer schon in diesem Land für würdevollen Journalismus mitunter bezahlen musste. Diese Möglichkeiten habe ich in Kauf genommen, als ich diese Aufgabe übernahm." Dieses düstere Bild bestätigte auch sein Verteidiger Ok, der die türkische Justiz immer wieder scharf kritisierte und der Regierung Repression von Kritikern vorwarf.
Die Inhaftierung Yücels verschärfte die diplomatische Krise zwischen Deutschland und der Türkei drastisch. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zeigte sich dagegen unerbittlich und bezeichnete Yücel öffentlich als "Terroristen" und "deutschen Agenten".
Nachdem die türkischen Behörden keine Anstalten machten, ihn freizulassen, legte Yücel schließlich Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Darin rügten Yücels Anwälte das Vorgehen der Behörden als Verstoß gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, gegen die Meinungsfreiheit und gegen das Verbot von Folter und unwürdiger Behandlung in der Haft. Yücel war zuvor lange in Isolationshaft gehalten worden.
Euphorische Reaktionen in der Politik
Im Oktober erst war der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner freigelassen worden und durfte, obwohl der Prozess gegen ihn weiter lief, ausreisen. Seine Freilassung - und auch die der Übersetzerin Mesale Tolu - hatte zu einer leichten Entspannung des deutsch-türkischen Verhältnisses geführt.
Die Nachricht von Yücels Freilassung wurde in Deutschland geradezu euphorisch aufgenommen. "Endlich! Beste Nachricht, wo gibt. Deniz Yücel kommt frei", twitterte etwa der geschäftsführende Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).
Außenminister Gabriel ließ in einer Erklärung des Auswärtigen Amtes verlauten: "Ich freue mich sehr über diese Entscheidung der türkischen Justiz. Und noch mehr freue ich mich für Deniz Yücel und seine Familie. Das ist ein guter Tag für uns alle. Ich danke ausdrücklich der türkischen Regierung für ihre Unterstützung bei der Verfahrensbeschleunigung".
Ein politischer Deal?
Gabriel hatte sich in der Vergangenheit immer wieder für eine Freilassung Yücels stark gemacht. Zudem halten sich Gerüchte, dass diese an ein Tauschgeschäft im Zusammenhang mit Rüstungsexporten Deutschlands in die Türkei geknüpft sein könnte. Yücel hatte sich dem verwehrt: "Für schmutzige Deals stehe ich nicht zur Verfügung", hatte er noch vor Kurzem erklärt. Seine Freilassung fällt nun aber in einer Phase der erstmaligen Entspannung des deutsch-türkischen Verhältnisses. Gabriel hatte sich nach einem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim optimistisch gegeben. Man habe Yildirim darauf hingewiesen, "dass dieser Fall eine besondere Dringlichkeit für uns hat". Nun erklärte Gabriel aber, es habe keine Gegenleistung von deutscher Seite für die Freilassung gegeben.
Vor seinem Deutschland-Besuch hatte Yildirim verkündet, er hoffe auf eine baldige Freilassung Yücels. Außenminister Sigmar Gabriel sagte Mitte der Woche bei einem Besuch in Belgrad: "Ich bin relativ optimistisch, dass wir doch jetzt bald zu einer Gerichtsentscheidung kommen." Und fügte an: "Und ich hoffe natürlich, dass die positiv für Deniz Yücel ausgeht."
Die Unabhängigkeit der türkischen Justiz war im Fall Yücel immer wieder Thema gewesen. Von deutscher Seite war den dortigen Behörden immer wieder vorgeworfen worden, die Inhaftierung sei politisch motiviert. Präsident Erdogan sah dies anders: "Sie müssen wissen, dass unsere Justiz unabhängiger ist als ihre", erklärte er noch im Juli vergangenen Jahres an die deutsche Politik gewandt.
mam/LTO-Redaktion
Mit Materialien von dpa
Türkische Staatsanwaltschaft fordert bis zu 18 Jahre Haft: . In: Legal Tribune Online, 16.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27077 (abgerufen am: 03.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag