Deutschland wurde in der Vergangenheit eher selten als Gerichtsstandort für internationale Streitigkeiten ausgewählt. Durch die Einführung von Commercial Courts und Englisch als Gerichtssprache soll sich das nun ändern.
Für große Wirtschaftsstreitigkeiten bietet die ordentliche Gerichtsbarkeit in Deutschland aktuell nur eingeschränkt zeitgemäße Verfahrensmöglichkeiten an. In der Folge werden solche Streitigkeiten vermehrt in anderen Rechtsordnungen oder innerhalb der privaten Schiedsgerichtsbarkeit geführt. Das soll sich zukünftig ändern. Der Justiz- und Wirtschaftsstandort soll gestärkt und Deutschland wettbewerbsfähiger gemacht werden. Nachdem das Bundesjustizministerium im Januar ein entsprechendes Eckpunktepapier vorgelegt hatte, folgte nun der Referentenentwurf.
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärte dazu: "Bislang erschwert der dreistufige Instanzenzug zügige rechtskräftige Entscheidungen und es gibt nur begrenzte Möglichkeiten für eine Verhandlungsführung in englischer Sprache. Das wollen wir ändern: Mit einem an den Bedürfnissen der Parteien orientierten, schnellen und effizienten Gerichtsverfahren werden wir den Wettbewerb mit anerkannten ausländischen Wirtschafts- und Schiedsgerichten aufnehmen und den Justizstandort Deutschland auch international nachhaltig stärken."
Internationale Kammern an den Landes- und Oberlandesgerichten
Die Länder sollen an ausgewählten Landgerichten (LG) sogenannte Commercial Chambers einrichten können, vor denen bestimmte Wirtschaftsstreitigkeiten geführt werden können. Das Verfahren, einschließlich der Entscheidung, soll vollständig in englischer Sprache geführt werden. Voraussetzung ist, dass sich die Parteien auf die Verfahrenssprache Englisch einigen oder die beklagte Partei dem nicht widerspricht. An einzelnen Landgerichten gibt es bereits spezialisierte Kammern für Handelssachen, an denen auf Englisch verhandelt werden kann.
Für große privatrechtliche Wirtschaftsstreitigkeiten ab einem Streitwert von einer Million Euro sollen die Länder Commercial Courts bei ihren Oberlandesgerichten einrichten dürfen. Auch hier könnte das Verfahren dann vollständig in englischer Sprache stattfinden. Zudem sind weitere Maßnahmen vorgesehen, die für eine schnelle und effiziente Verhandlungsführung sorgen sollen: Die Commercial Courts sollen mit spezialisierten Richterinnen und Richtern besetzt werden, die über sehr gute Sprachkompetenzen verfügen und Zugriff auf moderne technische Ausstattung in den Gerichten haben. Zudem ist unter anderem ein frühzeitiger Organisationstermin vorgesehen, um den Sach- und Streitstoff zu systematisieren, abzuschichten und um Vereinbarungen zu einem Verfahrensfahrplan zu treffen.
Der BGH darf über die Gerichtssprache entscheiden
Gegen eine erstinstanzliche Entscheidung der Commercial Courts soll die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) stets zulässig sein. Eine umfassende Verfahrensführung in englischer Sprache soll auch in der Revision möglich sein. Allerdings räumt das BMJ dem BGH hier ein Wahlrecht ein: der zuständige Senat muss der Verfahrenssprache Englisch zustimmen. Diese Regelung könnte zu einem Wechsel der Verfahrenssprache von Englisch auf Deutsch führen. Das macht die internationalen Spruchkörper unattraktiver, findet Julia Flockermann, Vorsitzende Richterin einer internationalen Kammer am Landgericht Berlin. Auch Dr. Martin Plum (MdB), zuständiger Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sieht darin eine Schwachstelle des Referentenentwurfs.
Die englischsprachigen Entscheidungen der Commercial Chambers, der Commercial Courts und des BGH sollen in die deutsche Sprache übersetzt und veröffentlicht werden. Dies ermöglicht die Vollstreckung und unterstützt die Rechtsfortbildung. Zudem sollen die Verfahrensregelungen nach dem Geschäftsgeheimnisschutzgesetz (GeschGehG) auf den gesamten Zivilprozess ausgeweitet werden. Künftig soll der Schutz von Geschäftsgeheimnissen bereits auf den Zeitpunkt der Klageerhebung vorverlegt werden. Die als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen sollen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nicht genutzt oder offengelegt werden dürfen.
Zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten hat das BMJ bereits einen Referentenentwurf vorgelegt. Damit sollen insbesondere die bereits bestehenden zivilprozessualen Möglichkeiten zur Durchführung von Videoverhandlungen und Videobeweisaufnahmen flexibilisiert und erweitert werden. Auch in Verfahren vor den Commercial Chambers oder Courts kann Videokonferenztechnik künftig verstärkt eingesetzt werden.
Geht der Entwurf nicht weit genug?
Laut dem BMJ werden insbesondere Unternehmen mit starker Exportorientierung von den Neuerungen profitieren. Mit dem Referentenentwurf werde ein an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiertes, schnelles, effizientes und attraktives Gerichtsverfahren angeboten. Zugleich soll der Gerichtsstandort Deutschland dadurch auch international an Anerkennung und Sichtbarkeit gewinnen und die notwendige Rechtsfortbildung im Bereich des Wirtschaftszivilrechts gestärkt werden.
Die Vorteile von Commercial Courts und der Nachholbedarf der deutschen Gerichte in diesem Bereich waren bereits seit geraumer Zeit bekannt. Entsprechend positiv wurde der Referentenentwurf des BMJ nun aufgenommen. Frank J. Bernardi, Praxisgruppenleiter "Prozessführung und Schiedsgerichtsbarkeit" und "Vertriebsrecht" bei Rödl & Partner, begrüßt den Entwurf des BMJ. Allerdings bleibe das Problem, dass auch Urteile deutscher Commercial Courts in der Sache deutsche Urteile darstellen, die international nur eingeschränkt vollstreckbar sind. "Der zweite Schritt, die Schaffung der Vollstreckbarkeit, muß also auch gegangen werden."
Außerdem sieht der Entwurf keine Reform der AGB-Kontrolle im unternehmerischen Rechtsverkehr vor. Eine solche sei aber dringend notwendig, so Dr. Martin Plum. "Das deutsche Recht ist aufgrund der geltenden Regeln für international agierende Unternehmen heute kaum attraktiv."
Der Entwurf wurde heute an Länder und Verbände versendet. Diese haben nun Gelegenheit, bis zum 2. Juni 2023 Stellung zu nehmen.
BMJ legt Referentenentwurf vor: . In: Legal Tribune Online, 25.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51627 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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