Es ist das erwartete Grundsatzurteil: Das BVerwG legte eine quantitative Grenze fest, ab der ein Elternteil als alleinerziehend gilt. Im konkreten Fall muss das OVG nochmals über den Anspruch der Mutter auf Unterhaltsvorschuss entscheiden.
Teilen sich die getrennt lebenden Eltern die Betreuung des gemeinsamen Kindes auf und verlangt ein Elternteil Unterhaltsvorschuss, so gilt dieser als alleinerziehend, wenn er mehr als 60 Prozent der Betreuung übernimmt. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am Dienstag (Urt. v. 12.12.2023, Az. 5 C 9.22 u. BVerwG 5 C 10.22). Damit hob der 5. Senat in Leipzig die Entscheidung der Vorinstanz auf.
Geklagt hatte eine Mutter von Zwillingstöchtern. Sie beantragte beim zuständigen Jugendamt in Höxter die Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen für beide Kinder nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG). Anspruch auf den Vorschuss haben Kinder, die bei einem alleinerziehenden Elternteil leben und keinen oder keinen regelmäßigen Unterhalt von dem anderen Elternteil erhalten. Für Kinder bis Fünf gibt es maximal 187 Euro, für Kinder bis 17 Jahre bis zu 338 Euro. Auf das Einkommen des alleinerziehenden Elternteils kommt es dabei nicht an.
Obwohl der von der Mutter getrennt lebende Kindesvater seiner Verpflichtung zur Zahlung von Barunterhalt nicht nachkam, verneinten sowohl das Verwaltungs- als auch das Oberverwaltungsgericht die Voraussetzungen des Unterhaltsvorschusses, denn die Kinder lebten nicht ausschließlich bei der Mutter. Tatsächlich beteiligte sich der Vater nicht unerheblich an der Kinderbetreuung. Während der Schulzeiten belief sich der zeitliche Anteil an der Betreuung auf 36 Prozent. Damit kam der Kindesvater einer familienrechtlichen Vereinbarung nach. Dies werteten die Vorinstanzen als wesentliche Entlastung der Klägerin.
BVerwG leitet zeitliche Grenze aus Sinn und Zweck her
Anders entschied nun der 5. Senat des BVerwG. Er legte die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG, dass das Kind nur "bei einem seiner Elternteile lebt", anhand des Zwecks der Vorschrift aus. Dieser bestehe darin, den Elternteil zu entlasten, der "wegen des Ausfalls des anderen Elternteils besonders belastet" ist, wie das BVerwG am Dienstag mitteilte. Diese Situation sei nicht auf Fälle des vollständigen Alleinerziehens beschränkt. Vielmehr drohe Elternteilen auch dann eine prekäre Belastung, "wenn der Schwerpunkt der Betreuung ganz überwiegend bei diesem Elternteil liegt".
Was "ganz überwiegend" abstrakt bedeutet, klärte das BVerwG dabei ebenfalls – und schaffte damit auch für andere künftige Grenzfälle Rechtssicherheit: Wenn ein Elternteil mehr als 60 Prozent der Betreuung übernimmt, lebt das Kind im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei diesem Elternteil. Dann kann dieser beim Jugendamt die Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen beantragen, wenn der andere Elternteil seine Unterhaltszahlungen – wie hier – schuldig bleibt. Liegt der Mitbetreuungsanteil des anderen Elternteils dagegen bei 40 Prozent oder mehr, gibt es keinen Vorschuss.
Damit stellte das BVerwG einen rein quantitativ-zeitlichen Maßstab auf. Eine qualitative Bewertung oder Gewichtung einzelner Betreuungsleistungen solle nicht erfolgen. "Bei ganztätig wechselweiser Betreuung kommt es typisierend darauf an, wo sich das Kind zu Beginn des Tages aufhält."
Aus Sicht des 5. Senats hatte das OVG Münster zur aktuellen zeitlichen Aufteilung der Kinderbetreuung vorliegend keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Deshalb verwies es die Streitsache zur erneuten Verhandlung dorthin zurück.
mk/LTO-Redaktion
BVerwG zum Unterhaltsvorschuss: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53404 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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