Dass Investitionsabkommen zwischen EU-Staaten und Schiedsklauseln unwirksam sind, passt dem Versicherer Achmea nicht. Die Gründe aber hätte das Unternehmen deutlicher machen müssen. So verwarf das BVerfG entsprechende Verfassungsbeschwerden.
Schon sechs Jahre ist es her, da hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Schiedsklauseln in Investitionsabkommen für mit EU-Recht unvereinbar erklärt. Das niederländische Versicherungsunternehmen Achmea, der durch diese Entscheidung Millionen flöten gegangen sind, blieb aber weiter hartnäckig und zog gleich mit zwei Verfassungsbeschwerden vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
Zum einen wehrte sich die Versicherungsgruppe dagegen, dass der Bundesgerichtshof (BGH) in Konsequenz des EuGH-Urteils einen Schiedsspruch zu ihren Gunsten aufgehoben hat. Zum anderen griff sie das Zustimmungsgesetz des Bundestages an, mit dem das Übereinkommen zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge (sogenannte Bilateral Investment Treaties, kurz BIT) zwischen EU-Mitgliedstaaten ratifziert wurde.
Das Unternehmen blieb jedoch ohne Erfolg. Das BVerfG verkündete am Freitag, beide Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung anzunehmen. Weder ein Rechtsschutzbedürfnis, noch die Verletzung von Verfassungsrecht oder eigenen Rechten sei von Achmea substantiiert dargelegt worden (Beschl. v. 23.07.2024, Az. 2 BvR 557/19, 2 BvR 141/22).
Der Fall "Achmea"
Seit 1991 bestand zwischen den Niederlanden und der Slowakei (damals noch Tschechoslowakei) ein Investitionsschutzabkommen. Derartige Abkommen bezwecken den Schutz des Investors im Anlageland, zum Beispiel vor entschädigungsloser Enteignung oder willkürlicher und diskriminierender Behandlung. In dem BIT war zudem eine Schiedsklausel enthalten, die alle Rechtsstreitigkeiten aus dem Abkommen einem Schiedsgericht zuwies.
2008 kam es zu einem solchen Schiedsverfahren. Weil ein Jahr zuvor die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft verboten wurde, berief sich Achmea – die in der Slowakei über eine Tochterunternehmen private Krankenversicherungen anbot – auf das BIT und forderte Schadensersatz von der Slowakei. Das Schiedsgericht in Frankfurt am Main sprach ihr letztlich eine Entschädigung von 22,1 Millionen Euro zu.
Die Slowakei beantrage daraufhin die Aufhebung des Schiedsspruches. Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt blieben sie damit zwar noch erfolglos, der BGH setzte das Verfahren jedoch aus und fragte beim EuGH nach, ob Schiedsklauseln, wie die im BIT zwischen der Niederlande und der Slowakei, mit dem Unionsrecht vereinbar seien.
Mit dem wegweisenden Achmea-Urteil entschied der EuGH daraufhin: Nein, Schiedsklauseln sind nicht mit EU-Recht vereinbar. Denn private Schiedsgerichte agierten außerhalb des Rechtssystems der EU. Damit werde unter anderem umgangen, dass der Rechtsschutz Einzelner und die (verbindliche) Auslegung des EU-Rechts originäre Aufgabe der nationalen Gerichte und des EuGH sei. Schiedsklauseln seinen nicht mit Art. 267 und 344 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vereinbar.
Auch wenn der BGH sich in seiner Vorlage noch gegen eine Exklusivkompetenz des EuGH positioniert hatte, hob er in der Konsequenz den Schiedsspruch auf. Außerdem unterzeichneten 23 Mitgliedstaaten, so auch Deutschland, die Slowakei und die Niederlande, ein Übereinkommen, dass die bilateralen Investitionsschutzverträge beendete.
Ultra-vires-Akt des EuGH?
Achmea ging nun gegen den Beschluss des BGH, mit dem der Schiedsspruch aufgehoben wurde, vor. Am BVerfG erwies sich die erhobene Verfassungsbeschwerde nun jedoch als unzulässig. Das Versicherungsunternehmen habe schon ein Rechtsschutzbedürfnis nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, so das BVerfG. Schließlich dürfte die Schiedsklausel nunmehr ohnehin durch das Beendigungsübereinkommen unwirksam sein, das BITs auch rückwirkend beendet hatte. Ob das Rechtsschutzziel überhaupt noch zu erreichen ist, sei damit fraglich. Ausführungen dazu seitens Achmea fehlten. “Trotz entscheidungserheblicher Änderung der Sach- und Rechtslage durch das Inkrafttreten des Beendigungsübereinkommens setzt sie sich nicht damit auseinander, ob sie ihr Rechtsschutzziel noch erreichen kann”, heißt es in der Entscheidung.
Auch der Vortrag zu einer Verletzung eigener Rechte überzeugt das Karlsruher Gericht nicht. Achmea hatte geltend gemacht, der BGH hätte sich nicht an das Urteil des EuGH gebunden sehen dürfen, weil dieses einen Ultra-vires-Akt, also eine Kompetenzüberschreitung der Union, darstelle. Auch hier monierte das BVerfG: Es fehle an "substantiierten Ausführungen dazu, dass die Rechtsanwendung des Gerichtshofs der Europäischen Union offenkundig unvertretbar ist und zu einer strukturellen Verschiebung von Kompetenzen auf die Europäische Union zulasten der Mitgliedstaaten führt."
Letztlich konnte Achmea das BVerfG auch nicht davon überzeugen, dass der BGH-Beschluss den Solange-Vorbehalt auslösen würde oder sonst unvereinbar mit Grundrechtsgewährleistungen wäre. Das Urteil des EuGH ließe den Mitgliedstaaten keinen Spielraum. "Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 31. Oktober 2018 beruht auf einer Umsetzung zwingender unionsrechtlicher Vorgaben, sodass in dieser Hinsicht grundsätzlich keine Prüfung der Entscheidung auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten des Grundgesetzes erfolgt", so die Karlsruher Richter. Und aus der Entscheidung des EuGH ergebe sich eindeutig, dass Schiedsklauseln in Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten mit den Art. 267, 344 AEUV unvereinbar seien.
In selber Manier wies das BVerfG auch die übrigen vermeintlichen Rechtsverletzungen, unter anderem gegen die Eigentumsgarantie oder Berufsausübungsfreiheit, ab.
Ratifikation in deutsches Recht irrelevant
Hinsichtlich der zweiten Verfassungsbeschwerde, die sich gegen das Gesetz des Bundestages richtet, mit dem das Beendigungsübereinkommen in Deutschland ratifiziert wurde, hielt sich das Verfassungsgericht deutlich kürzer: Es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern Achmea durch das deutsche Gesetz unmittelbar in eigenen Rechten betroffen sei.
Es ist nicht hinreichend erkennbar, inwiefern das deutsche Zustimmungsgesetz Auswirkungen auf die Beendigung des hier maßgeblichen BIT haben sollte, welches zwischen der Slowakischen Republik und dem Königreich der Niederlande geschlossen wurde.
Schließlich hätten auch die Niederlande und Slowakei das Übereinkommen ratifiziert. "Selbst wenn also die Bundesrepublik Deutschland das Beendigungsübereinkommen nicht ratifiziert hätte, hätte dies keine Auswirkung auf die Beendigung des BIT", machen die Verfassungsrichter deutlich. Das gelte auch, wenn das deutsche Gesetz verfassungs- oder unionsrechtswidrig wäre und aufgehoben werden würde.
Versicherer Achmea bleibt auf Millionen-Verlust sitzen: . In: Legal Tribune Online, 13.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55399 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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