Nach dem erfolglosen Eilverfahren vor dem BVerfG geht der Streit um die Wahlrechtsreform munter weiter. Die Oppositionsfraktionen, die den Eilantrag gestellt hatten, geben sich kämpferisch, die Union verbucht die Entscheidung als Erfolg.
Die umstrittene Wahlrechtsreform der großen Koalition bleibt zur Bundestagswahl in Kraft, wird aber im Hauptsacheverfahren vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch genau unter die Lupe genommen werden. Der Zweite Senat hält es nämlich zumindest für möglich, dass die Neuregelung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ein Eilantrag von FDP, Linken und Grünen war dagegen erfolglos geblieben, wie am Freitagmorgen bekannt geworden ist (Beschl. v. 20.07.2021, Az. 2 BvF 1/21).
Es besteht parteiübergreifende Einigkeit darüber, dass der Bundestag zu groß ist. Ein großes Parlament kostet den Steuerzahler nicht nur mehr Geld, es ist wohl auch weniger arbeitsfähig. Aber über das Wie der Verkleinerung wird seit Jahren gestritten, denn keine Partei will politisch an Einfluss verlieren. Eine Kompromisslösung, die alle mittragen wollten, war in zwei Wahlperioden trotz mehrerer Anläufe nicht zustande gekommen. Im Oktober 2020 hatten Union und SPD schließlich eine Wahlrechtsänderung beschlossen, die auch viele Fachleute für unzureichend halten. Denn bei den derzeit 299 Wahlkreisen soll es zunächst bleiben. Eine größere Reform ist erst für die Wahl 2025 geplant.
FDP, Linke und Grüne hatten gemeinsam einen Alternativentwurf vorgelegt, der nur 250 Wahlkreise vorsah. Damit konnten sich die Oppositionsfraktionen aber nicht durchsetzen. In dem Verfahren, bei dem eine Hauptsacheentscheidung noch aussteht, rügten die Oppositionsfraktionen insbesondere einen Verstoß gegen die im Grundgesetz (GG) verankerten Prinzipien der Chancengleichheit der Parteien und der Wahlrechtsgleichheit (Art. 21 und Art. 38 GG).
BVerfG habe "klar gemacht, dass unsere verfassungsrechtlichen Bedenken Gewicht haben"
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, sprach in Berlin von einer "peinlichen politischen Situation". In wenigen Wochen werde ein neuer Bundestag gewählt - ohne dass klar sei, ob die Regeln dafür verfassungsfest sind. "Dafür tragen CDU, CSU und SPD die politische Verantwortung", so Buschmann.
Seine Grünen-Kollegin Britta Haßelmann erklärte, das Gericht habe "klar gemacht, dass unsere verfassungsrechtlichen Bedenken Gewicht haben und einer Klärung bedürfen". Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Friedrich Straetmanns, warf CDU und CSU vor, sich mit der Reform einen Bonus verschafft zu haben. "Im schlimmsten Fall entscheidet das über eine Regierungsmehrheit."
Die Union verbuchte es als Erfolg, dass Karlsruhe das reformierte Wahlrecht nicht schon als offensichtlich verfassungswidrig ansieht. "Wir sind der festen Überzeugung, dass sich auch nach einer mündlichen Verhandlung in der Hauptsache herausstellen wird, dass unsere Reform mit der Verfassung vereinbar ist", sagte Fraktionsjustiziar Ansgar Heveling (CDU). SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider teilte mit, eine wirkliche Reform sei "wegen der sehr unterschiedlichen Positionen zwischen CSU und CDU nicht möglich" gewesen. Die jüngste Änderung könne nur ein Zwischenschritt sein.
AfD-Fraktionsjustiziar Stephan Brandner behauptete, die AfD habe einen Vorschlag vorgelegt, der es ermöglicht hätte, das Problem sofort zu lösen. "Gewollt war das aber von den anderen Fraktionen nicht", so Brandner.
dpa/jb/LTO-Redaktion
Reaktionen auf die BVerfG-Entscheidung zur Wahlrechtsreform: . In: Legal Tribune Online, 13.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45735 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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