BVerfG zum Geburtenregister: Weib­lich, männ­lich, divers?

08.11.2017

Die Einordnung im Geburtenregister als männlich oder weiblich diskriminiert intersexuelle Personen, so das BVerfG. Der Gesetzgeber muss jetzt handeln - und etwa einen dritten Geschlechtseintrag ermöglichen.

Wenn das Personenstandsrecht dazu zwingt, das Geschlecht zu registrieren, aber keinen anderen positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich zulässt, verletzt das intersexuelle Menschen in ihren Grundrechten. Das entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Mittwoch (Beschl. v. 10.10.2017, Az. 1 BvR 2019/16).

Die im Geburtenregister als Frau geführte Beschwerdeführerin wollte beim Standesamt ihre bisherige Geschlechtsangabe  in "inter/divers" umändern lassen. Diesen Antrag lehnte die Behörde mit Hinweis auf dasPersonenstandsgesetz (PStG) ab. Dort ist in den §§ 21 Abs. 1 Nr. 3, 22 Abs. 3 PStG geregelt, dass im Geburtenregister ein Kind entweder dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zuzuordnen ist, oder - wenn dies nicht möglich ist - das Geschlecht nicht eingetragen wird.

BVerfG: Geschlechte Zuordnung für die Identität von "herausragender Bedeutung"

Der Berichtigungsantrag wurde vom Amtsgericht (AG) zurückgewiesen. Auch die dagegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos. Anders entschied jetzt das BVerfG. Denn die Regelungen des PStG verletzten das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin nach Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und verstießen gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 GG.

Der Senat betonte, dass der geschlechtlichen Zuordnung gerade im Hinblick auf die individuelle Identität eine "herausragende Bedeutung" zukomme und eine Schlüsselposition im Selbstverständnis einer Person einnehme. Dabei sei auch die geschlechtliche Identität jener Personen geschützt, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen seien.

Die gesetzlichen Auswahlmöglichkeiten zwischen dem weiblichen und männlichen Geschlecht beziehungsweise dem Eintrag "fehlende Angabe" werden dem nicht gerecht, so der Senat. Das Grundgesetz gebiete es nicht, den Personenstand hinsichtlich des Geschlechts ausschließlich binär zu regeln.

Intersexuelle werden diskriminiert

Die Verwehrung einer weiteren einheitlichen positiven Eintragungsmöglichkeit sei weder durch einen gewissen Mehraufwand noch durch Zuordnungsprobleme zu rechtfertigen, erklärten die Karlsruher Richter.

Darüber hinaus dürfe das Geschlecht nicht als Anknüpfungspunkt für eine Ungleichbehandlung herangezogen werden. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG solle gerade auch Angehörige strukturell diskriminierungsgefährdeter Gruppen vor Benachteiligung schützen, erklärte das BVerfG.  Dazu zählten auch Menschen, die sich nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen ließen.

Das BVerfG stellte deswegen die Unvereinbarkeit von § 21 Abs. 1 Nr. 3, 22 Abs. 3 PStG mit dem Grundgesetz fest und gab dem Gesetzgeber bis Ende dieses Jahres Zeit, eine Neuregelung zu schaffen.  

Bundesfamilienministerin Katarina Barley hat die Entscheidung des BVerfG begrüßt: "Es verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, wenn ihr Geschlechtseintrag offen bleibt", sagte Barley am Mittwoch. Das Bundesinnenministerium kündigte an, das Urteil zu respektieren und umzusetzen. Bei der Gestaltung gebe es gewissen Spielraum, sagte ein Sprecher. Zu Einzelheiten äußerte er sich nicht.

Antidiskriminierungsstelle: "Historische" Entscheidung

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes würdigte die Entscheidung des Verfassungsgerichts als "historisch" und mahnte eine umfassende Reform des Personenstandsrechts an. Durch die Entscheidung werde überdies klargestellt, dass die Ehe für alle auch für intersexuelle Menschen gelte, sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders.

Das deutsche Institut für Menschenrechte geht noch einen Schritt weiter. Der Gesetzgeber solle in Umsetzung der Entscheidung jedoch nicht nur eine isolierte Änderung im Personenstandsrecht vornehmen, sondern mit einem umfassenden Geschlechtervielfaltsgesetz den rechtlichen Schutz und die Anerkennung der Vielfalt von körperlichen Geschlechtsentwicklungen, Geschlechtsidentitäten und des Geschlechtsausdruck verbessern – etwa auch für das Zuordnungs- und Änderungsverfahren für den Geschlechtseintrag, im Familienrecht und im Antidiskriminierungsrecht, fordert Petra Follmar-Otto, Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa.

Ob der Gesetzgeber nun bis Jahresende einen dritten positiven Geschlechtseintrag einführt, bleibt abzuwarten. Alternativ könnte er auch ganz auf einen Geschlechtseintrag verzichten. 

mgö/LTO-Redaktion

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

BVerfG zum Geburtenregister: . In: Legal Tribune Online, 08.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25429 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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