Ein Mann wird 1983 vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Wegen neuer Beweismittel wird das Verfahren 2021 wieder aufgenommen. Ist das verfassungsgemäß? Bis das entschieden ist, muss der Verdächtige nicht in Haft.
Der Verdächtige im Mordfall Frederike bleibt vorerst weiter auf freiem Fuß. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wiederholte in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss eine einstweilige Anordnung vom 14. Juli, mit der ein gegen den Mann erlassener Haftbefehl unter Bedingungen außer Vollzug gesetzt worden war (Beschl. v. 20.12.2022, Az. 2 BvR 900/22).
Der Verdächtige Ismet H. wurde 1983 rechtskräftig von dem Vorwurf freigesprochen, die 17-jährige Frederike von Möhlmann vergewaltigt und getötet zu haben. Das Verfahren wurde wegen neuer Beweismittel aufgrund des im Dezember 2021 in Kraft getretenen § 362 Nr. 5 Strafprozessordnung (StPO) wieder aufgenommen.
Die von der damaligen GroKo beschlossene Wiederaufnahmevorschrift ist verfassungsrechtlich äußerst umstritten. Kritiker sehen in der Norm einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz (GG), der nach herrschender Auffassung auch die Doppelverfolgung nach einem Freispruch verbietet ("ne bis in idem"). Das Landgericht (LG) Verden hatte die Vorschrift im Februar 2022 erstmals angewendet und einen Wiederaufnahmeantrag in dem Fall für zulässig erklärt. Gleichzeitig ordnete das LG Untersuchungshaft gegen H. an. Grund für die Wiederaufnahme waren im Jahre 2012 gefundene Spermaspuren auf einem Stück Toilettenpapier im Slip der Getöteten, die H. belasten sollen. H. erhob dagegen Verfassungsbeschwerde.
Das BVerfG hatte den Haftbefehl im Juli unter Anordnung mehrerer Weisungen ausgesetzt und die Freilassung des Mannes angeordnet. H. musste seine Ausweispapiere abgeben, sich zweimal wöchentlich bei der Staatsanwaltschaft melden und durfte das Gebiet seines Wohnortes nicht ohne Erlaubnis verlassen.
Der Senat hat die Anordnung nun unter diesen Bedingungen bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens für sechs Monate, wiederholt. Die Sach- und Rechtslage habe sich seit der ersten Entscheidung im Juli nicht wesentlich geändert, hieß es in einer Gerichtsmitteilung. H. sei den Weisungen beanstandungsfrei nachgekommen.
Einstweilige Anordnungen des BVerfG treten grundsätzlich nach sechs Monaten außer Kraft, können aber mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden (§ 32 Abs. 1 und 6 Bundesverfassungsgerichtsgesetz).
acr/LTO-Redaktion
BVerfG verlängert Außervollzugsetzung von Haftbefehl: . In: Legal Tribune Online, 22.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50562 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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