Nach Ansicht des BAG darf das Land Berlin muslimischen Lehrerinnen nicht pauschal verbieten, ein Kopftuch zu tragen. Eine Verfassungsbeschwerde des Landes dagegen wurde nicht zur Entscheidung angenommen.
Es bleibt dabei: Das Land Berlin darf Lehrerinnen nicht pauschal das Tragen von Kopftüchern verbieten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat eine Verfassungsbeschwerde des Landes Berlin gegen ein entsprechendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nicht zur Entscheidung angenommen. Das sei bereits am 17. Januar geschehen, teilte ein Sprecher des Karlsruher Gerichts am Mittwochabend mit (Beschl. v. 17.01.2023, Az. 1 BVR 1661/21). Zuvor hatte die Katholische Nachrichten-Agentur berichtet.
Damit steht das umstrittene Neutralitätsgesetz, in dem auch das Kopftuchverbot verankert ist, in Frage. Es untersagt Lehrkräften und anderen Pädagogen an öffentlichen Berliner Schulen das Tragen religiöser Symbole im Dienst. Das kann ein Kopftuch sein, aber auch ein Kreuz oder eine Kippa.
Bereits im August 2020 hatte das BAG entschieden, dass pauschale Kopftuchverbot für Lehrerinnen im Berliner Neutralitätsgesetz verfassungskonform dahingehend auszulegen ist, dass es das Tragen des Kopftuchs innerhalb des Dienstes nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität verbietet. Das hatte das BVerfG schon 2015 klargestellt, in einer Entscheidung die sich auf eine Regelung in Nordrhein-Westfalen bezog.
Einer Muslimin, die wegen ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst übernommen worden war, sprach das BAG eine Entschädigung von rund 5.159 Euro nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu, weil sie wegen ihrer Religion diskriminiert worden sei. Es bestätigte damit eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom November 2018, gegen die das Land in Revision gegangen war.
Verletzung von Verfahrensgrundrechten bei BAG-Entscheidung gerügt
Nach der BAG-Entscheidung hatte die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheers (SPD) angekündigt, gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde einzulegen. Ein Sprecher des BVerfG erklärte auf Nachfrage von LTO, dass mit der Verfassungsbeschwerde die Verletzung der Verfahrensrechte auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) und auf rechtliches Gehört nach Art. 103 Abs. 1 GG gerügt worden seien. Auf diese Verfahrensgrundrechte können sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts berufen.
Die Bildungsverwaltung des Senats hatte im Februar 2021 auf Anfrage erklärt, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) hätte beteiligt werden müssen. Zudem habe das BAG die Nichtvorlage an den EuGH im Urteil mit einem überraschenden Gesichtspunkt begründet, der im gesamten Verfahren nicht thematisiert wurde. Das BVerfG äußerte sich zu den Argumenten aber nicht. Die Verfassungsbeschwerde wurde ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93d Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz).
Justizsenatorin will Neutralitätsgesetz ändern
Aus Sicht von Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) muss das Neutralitätsgesetz, das Lehrerinnen pauschal das Tragen von Kopftüchern verbietet, möglichst bald geändert werden. "Dass die Kritik hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Berliner Neutralitätsgesetzes berechtigt ist, hat nun das Bundesverfassungsgericht bestätigt", sagte Kreck der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag. "Damit muss das Neutralitätsgesetz Berlins umgehend angefasst werden."
"Ein pauschales Kopftuchverbot für Pädagoginnen wird es in Berlin in Zukunft nicht mehr geben", erklärte Kreck. "Auch die anderen im Neutralitätsgesetz geregelten Bereiche werden überprüft werden müssen." Das gelte auch für die Justiz. "Über das Kopftuchverbot werden in der Einwanderungsgesellschaft Menschen ausgegrenzt und rassistisch konnotierte Zuschreibungen verstärkt."
acr/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
BVerfG nimmt Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an: . In: Legal Tribune Online, 02.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50963 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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