Die Frage, ob selbst genutztes Wohneigentum von Leistungsempfängern "angemessen" groß ist, richtet sich nach der Anzahl der Personen, die darin wohnen. Aber müssen Eltern umziehen, weil die Kinder ausgezogen sind?
Vorgaben für Hartz-IV-Empfänger zur maximalen Größe von Wohneigentum sind nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit dem Grundgesetz vereinbar und verstoßen nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Dies geht aus einem Beschluss des Karlsruher Gerichts hervor, der am Donnerstag veröffentlicht wurde (Beschl. v. 28.04.2022, Az. 1 BvL 12/20).
Hintergrund der Entscheidung ist ein Streit um das sogenannte Schonvermögen - also bestimmte Freibeträge beim Vermögen, die man nach dem Sozialrecht nicht zum Bestreiten seines Lebensunterhalts einsetzen muss. In § 12 Sozialgesetzbuch (SGB) II ist geregelt, welches Vermögen bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu berücksichtigen ist. Nicht dazu zählt nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II "ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung". Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wird die Angemessenheit der Gesamtwohnfläche durch die Anzahl der dort wohnenden Personen bestimmt.
Im konkreten Fall ging es um ein Ehepaar, das mit sechs Kindern ein von ihm erbautes Haus bewohnte. Der Nachwuchs zog nach und nach aus. Die Klägerin und ihr Mann wohnen seit dem Frühjahr 2013 allein dort.
Als die Frau 2018 Hartz IV erhalten wollte, wurde der Antrag abgelehnt. Die Begründung: Ihr Ehemann sei Eigentümer eines Grundstücks und besitze damit Vermögen, das den für die Klägerin und ihren Mann maßgeblichen Freibetrag übersteige. Insbesondere stelle es kein Schonvermögen im Sinne des SGB II dar, da es nicht von angemessener Größe sei. Das Haus hat nach Angaben des Gerichts eine Wohnfläche von 143,69 Quadratmetern. Als angemessen gelten allerdings für einen Zwei-Personen-Haushalt höchstens 90 Quadratmeter.
Vorinstanz sah Diskriminierung der Familie
Das mit dem Fall beschäftigte Sozialgericht Aurich hatte das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Norm vorgelegt. Nach Auffassung des Sozialgerichts erzeugt die Regelung in ihrem Zusammenwirken eine die Familie diskriminierende Wirkung, indem sie das Wohneigentum von Eltern in ihrer aktuellen Lebenssituation nur deshalb nicht schützen, weil sie in einer vorangegangenen Lebensphase Kinder betreut hätten, für die sie größeren Wohnraum hätten vorhalten müssen.
Das BVerfG entschied nun aber, dass die Norm mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dass die Vorschrift für die Frage des Verwertungsschutzes von Wohneigentum nicht nach dessen familiärer Vorgeschichte differenziert, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Vorschrift diene der Realisierung des Bedarfsdeckungsprinzips, wonach im System der Grundsicherung staatliche Leistungen allgemein nachrangig gewährt werden. Das stehe laut Gericht auch nicht außer Verhältnis zu der Belastung der Betroffenen. Laut BVerfG sei der soziale Rechtsstaat "darauf angewiesen, dass Mittel der Allgemeinheit, die zur Hilfe für deren bedürftige Mitglieder bestimmt sind, nur in Fällen in Anspruch genommen werden, in denen aktuell Bedürftigkeit vorliegt." Die Betroffenen würden jedoch über Wohneigentum verfügen, das sie einsetzen und damit ihren Bedarf selbst sichern könnten.
"Bürgergeld" soll Hartz IV ersetzen
Der Sozialverband VdK hatte im Vorfeld der Entscheidung gehofft, dass die Karlsruher Richterinnen und Richter den starren Regeln für selbst genutztes Wohneigentum ein Ende setzen. "Vielen Lebenssituationen wird es einfach nicht gerecht, wenn die Frage, ob ein Wohnraum angemessen ist, allein danach bewertet wird, wie viele Menschen auf eine bestimmte Quadratmeter-Zahl kommen", erklärte ein Sprecher.
Wie viele Betroffene es gibt, ist unklar. Der Sozialverband weiß aber nach eigenen Angaben aus seiner Rechtsberatung, dass die meisten Menschen, die Grundsicherung oder Hartz IV beantragen müssen, vor allem fürchteten, ihre Wohnung verlassen zu müssen. "Da es kaum mehr möglich ist, preiswerten Wohnraum zu finden, sind die starren Vorgaben völlig unrealistisch und zudem unwirtschaftlich." Die Entscheidung der Bundesregierung, während der Corona-Pandemie keine Prüfung der Wohnkosten und des selbst genutzten Wohneigentums vorzunehmen, war daher aus Sicht des VdK richtig. "Diese Regelungen sollen ja auch im neuen Bürgergeld fortgeführt werden."
Nach den Plänen der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP sollen Langzeitarbeitslose künftig statt Hartz IV ein "Bürgergeld" bekommen. In den ersten zwei Bezugsjahren soll dabei die Prüfung des Vermögens oder der Wohnung wegfallen. Wer durch das Bürgergeld aufgefangen wird, soll sich vorerst nicht um das Ersparte und die Wohnsituation sorgen müssen.
acr/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
BVerfG zum Wohneigentum bei Hartz IV: . In: Legal Tribune Online, 02.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48633 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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