Nach einem DDR-Fluchtversuch seiner Mutter wurde ein Junge in einem Kinderheim untergebracht. Die Vorinstanzen lehnten seine Rehabilitierung ab. Zu Unrecht, entschied nun das BVerfG.
Ein ehemaliges DDR-Heimkind hat erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für seine Rehabilitierung gekämpft. Die Vorinstanzen hätten die Rehabilitierung des Beschwerdeführers wegen einer 14-monatigen Heimunterbringung in der ehemaligen DDR nach einem Republikfluchtversuch seiner Mutter in verfassungswidriger Weise abgelehnt, so das BVerfG in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss (Beschl. v. 9.12.2021, Az. 2 BvR 1985/16). Das Landgericht (LG) Schwerin und das Oberlandesgericht (OLG) Rostock hätten die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Pflicht zur gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung "grob verkannt", heißt es in der Pressemitteilung des obersten deutschen Gerichtes. Das LG Schwerin muss sich jetzt erneut mit dem Fall befassen.
Bei der Rehabilitierung der Opfer von DDR-Unrecht geht es neben der Anerkennung, dass die Menschen Opfer politischer Willkür in der DDR waren, um den Zugang zu Entschädigungen. Bundestag und Bundesrat hatten Ende 2019 neue Regeln beschlossen, die unter anderem die Voraussetzungen dafür senken und die Frist für entsprechende Anträge verlängern.
Der damals 13-jährige Beschwerdeführer wollte den Angaben zufolge im Oktober 1977 mit seiner Mutter von der Tschechoslowakei aus in die Bundesrepublik Deutschland gelangen. Tschechoslowakische Sicherheitskräfte hätten sie verhaftet und getrennt. Der Junge sei in einem Gefangenentransportfahrzeug der Sicherheitsorgane der DDR nach Schwerin und zwei Tage später in das Kinderheim "Ernst Thälmann" gebracht worden.
Seine Mutter sei in Untersuchungshaft gekommen und im Januar 1978 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Im Sommer 1978 wurde sie laut Mitteilung in die Bundesrepublik ausgesiedelt, konnte ihren Sohn aber erst kurz vor Weihnachten in dem Heim abholen.
LG und OLG lehnten Rehabilitierung ab
Im Februar 2014 wies das LG Schwerin einen Antrag des Mannes zurück, ihn wegen der Heimunterbringung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) zu rehabilitieren. Er legte Beschwerde ein, die das OLG Rostock verwarf.
Das BVerfG hält die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde für "ganz überwiegend zulässig und begründet". Der Mann sei in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt, da die Fachgerichte den entscheidungserheblichen Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt hätten.
Im Rehabilitierungsverfahren verpflichte § 10 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG die Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen. Dabei seien sämtliche Erkenntnisquellen zu verwenden, die erfahrungsgemäß die Angaben eines Betroffenen bestätigen könnten.
Das BVerfG stellte unter anderem fest, die Fachgerichte hätten die Heimeinweisung nicht wirksam kontrolliert. Es habe weiteren Aufklärungsbedarf und weitere Aufklärungsmöglichkeiten gegeben.
DDR-Behörden umgingen aufnahmebereite Dritte
Eine Heimeinweisung sei nach verbreiteter Rechtsprechung insbesondere dann rechtsstaatswidrig, "wenn die Eltern eines Kindes aus politischen Gründen in Haft waren und die Heimunterbringung erst dadurch erforderlich wurde, dass aufnahmebereite Dritte von den DDR-Behörden übergangen wurden".
Das OLG Rostock habe diese Umstände nicht hinreichend ermittelt. Es sei Hinweisen auf die Aufnahmebereitschaft des älteren Halbbruders, der in der Bundesrepublik lebte, sowie der Großeltern stiefväterlicherseits nicht nachgegangen, nachdem die Mutter wegen eines gescheiterten Fluchtversuchs ins Gefängnis gekommen sei.
Auch habe das OLG nicht hinreichend geklärt, warum der Junge nach Übersiedlung seiner Eltern in die Bundesrepublik noch ein halbes Jahr im Heim blieb.
Verstoß gegen Willkürverbot
Zudem verletze der Beschluss des OLG das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Es lege seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde, ohne dass die hierfür maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen nachvollziehbar wären.
Das OLG hat festgestellt, die Eltern des Beschwerdeführers hätten sich nicht aktiv um dessen Aufnahme außerhalb eines Heimes bemüht. Dieser hat jedoch ausführlich vorgetragen, seine Mutter habe aus der Haft heraus Briefe an namentlich benannte Verwandte in der DDR geschrieben, jedoch keine Antwort erhalten.
Auch fänden sich in den Akten keine dokumentierten Verfahrensschritte von einer bestimmten Dauer, die auf das Vorliegen organisatorisch-bürokratischer Hemmnisse schließen lassen. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso aus Unterhaltsrückständen und diesbezüglichen Unstimmigkeiten zwischen den leiblichen Eltern die verzögerte Heimentlassung eines 14-jährigen folge.
fkr/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
Rehabilitierung der Opfer von DDR-Unrecht: . In: Legal Tribune Online, 29.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47079 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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