Von der Rehabilitierung homosexueller Justizopfer bis zur Versorgung von Kindern psychisch kranker Eltern: Der Bundestag hat am Donnerstagabend und in der Nacht zum Freitag weitreichende Beschlüsse und Gesetze verabschiedet.
Der Umgang der Justiz mit Schwulen in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik war aus heutiger Sicht eine Schande. Nun hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das die Wunden ein Stück weit heilen soll. Es war aber nicht der einzige Beschluss des Abends.
Tausende homosexuelle Justizopfer werden rehabilitiert. Als finanzielle Entschädigung sind laut dem einstimmig verabschiedeten Gesetz pro Person pauschal 3.000 Euro vorgesehen sowie 1.500 Euro für jedes angefangene Jahr im Gefängnis. Bevor die Regelung in Kraft tritt, muss der Bundesrat zustimmen - was als sicher gilt. Der frühere § 175 des Strafgesetzbuchs (StGB) hatte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe gestellt. Auf seiner Basis wurden nach Schätzungen 64.000 Menschen verurteilt. Von der Rehabilitierung ausgeschlossen sind Betroffene, wenn sie wegen sexueller Handlungen mit unter 16-Jährigen verurteilt wurden. Das Justizministerium rechnet mit maximal 5.000 Anträgen auf Entschädigung.
Übertragung von Urteilsverkündungen der Bundesgerichte
Das seit 1964 bestehende Verbot von Fernseh- und Rundfunkaufnahmen in Gerichtssälen wurde gelockert, obwohl es im Vorfeld erbitterten Widerstand nicht zuletzt durch die Präsidenten der Bundesgerichte gegeben hatte. Die Möglichkeit, Urteilsverkündungen der obersten Bundesgerichte künftig live zu übertragen, soll für mehr Transparenz sorgen. Erlaubt ist künftig zudem, auch als Konsequenz medienträchtiger Verfahren wie des NSU-Prozesses, die Übertragung von mündlichen Verhandlungen in einen Arbeitsraum für Medienvertreter, was bisher ebenfalls nicht zulässig war. Die Reform schafft ferner die Möglichkeit, Gerichtsverfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung vollständig aufzuzeichnen, allerdings nur auf der Tonspur. Die Aufzeichnungen dürfen aber erst 30 Jahre später verwendet werden.
Ebenfalls einstimmig verabschiedete der Bundestag eine interfraktionelle Entschließung zur Verbesserung der Lage für Kinder psychisch kranker Eltern. Danach soll die Bundesregierung noch einmal genau prüfen, wie die Hilfssysteme zusammen wirken und wo Nachbesserungen erforderlich sind. So wird zum Beispiel eine Reha für ein suchtkrankes Elternteil von der Rentenversicherung bezahlt. Über Kosten für die Betreuung des Kindes in dieser Zeit wird jedoch gestritten. Laut Entschließung soll eine Arbeitsgruppe der zuständigen Bundesministerien sowie relevanter Fachverbände und Experten eingerichtet werden. Sie soll auch prüfen, inwieweit das Präventionsgesetz in Anspruch genommen werden kann.
Überwachung von Messenger-Diensten
Nach einem weiteren Gesetzesbeschluss ist künftig auch die ärztliche Zwangsbehandlung psychisch Kranker außerhalb geschlossener Einrichtungen möglich. Damit will der Bundestag eine Regelungslücke schließen, die das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr beanstandet hatte. Patienten, die ihren Gesundheitszustand nicht mehr selber einschätzen können, durften bisher nur dann gegen ihren Willen behandelt werden, wenn sie in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht waren. In einem normalen Krankenhaus war eine solche Zwangsbehandlung bisher nicht möglich. Ambulante Zwangsmaßnahmen bleiben aber weiterhin ausgeschlossen.
Das Parlament machte am Abend darüber hinaus den Weg frei für die flächendeckende Anwendung des "Staatstrojaners". Der massenhafte Einsatz der Überwachungssoftware soll der Verfolgung von Straftaten dienen, indem (Kommunikations-)Daten von technischen Endgeräten wie Computern oder Smartphones von Behörden ausgelesen werden dürfen. Bisher war der Einsatz des staatlichen Virus nur unter besonders engen Voraussetzungen zulässig.
Um verfassungsrechtlichen Bedenken vorzubeugen, soll der Staatstrojaner nur frühere und laufende Kommunikation mitschneiden - sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) - und sich dadurch vom vollständigen Ausspähen sämtlicher Daten auf dem Endgerät unterscheiden (sogenannte Online-Durchsuchung).
Das Vorhaben ist heftig umstritten und vielfach diskutiert worden. So führen Kritiker an, dass die Unterscheidung zwischen Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung nicht tauge, da für beide Arten der Überwachung das Endgerät mit dem Virus infiziert werden müsse, meist über bestehende Sicherheitslücken in den jeweiligen Betriebssystemen der Geräte. Damit würden die Behörden dazu animiert, Kenntnisse über solche Sicherheitslücken für sich zu behalten anstatt sie den Herstellern zu melden, damit diese sie schließen können.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Marathonsitzung im Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 23.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23263 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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