Der Bundestag hat die Reform des Sexualstrafrechts am Donnerstag verabschiedet – trotz vereinzelter Kritik stellten sich alle Fraktionen hinter den Entwurf. Das Meinungsbild unter Strafrechtsexperten ist weniger eindeutig.
Der 13. Abschnitt, betreffend "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung", wurde schon heute häufiger geändert als jeder andere Teil des Strafgesetzbuchs (StGB) in den letzten 20 Jahren. Bald wird er um eine weitere Reform reicher sein: Ein Entwurf aus dem Bundesjustizministerium, der insbesondere Änderungen am Tatbestand der sexuellen Nötigung und die Einführung der Strafbarkeit von sexuellen Belästigungen sowie von sexuellen Angriffen aus Gruppen heraus vorsieht, hat am Donnerstag den Bundestag passiert.
Die erheblichen Verschärfungen wurden einstimmig verabschiedet, der Bundesrat wird sich im September mit ihnen befassen - danach ist die für manche Kritiker allzu weitreichende und in der juristischen Praxis problematische Reform durch.
"Nein heißt Nein"
Sexuelle Gewalt soll nach der Neuregelung künftig leichter geahndet werden können. Voraussetzung des § 177 StGB, der die sexuelle Nötigung (bei Eindringen in den Körper "Vergewaltigung" genannt) regelt, war bislang, dass das Opfer irgend eine Form von Widerstand leistet, die der Täter mittels Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder Gewalt überwindet – es sei denn, das Opfer befand sich in einer "schutzlosen Lage" (z.B. abgelegener Ort, keine Chance auf Flucht oder Hilfe von außen), in der Widerstand von Anfang an aussichtslos schien. Insbesondere um diese letzte Variante rankten sich diverse Streitigkeiten, weil im Einzelnen unklar war, was eine solche "schutzlose Lage" ist und was nicht.
Künftig soll es bereits ausreichen, wenn der Täter sich über den "erkennbaren Willen" des Opfers hinwegsetzt – Widerstand und dessen Überwindung sind nicht mehr notwendig, dafür sinkt der Strafrahmen in der Untergrenze aber auch in den Vergehensbereich.
Ebenfalls soll es ausreichen, wenn das Opfer aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden und der Täter dies erkennt und ausnutzt. Das allein auf den erkennbaren Opferwillen abstellende Prinzip, das mit der Formel "Nein heißt Nein" umschrieben wird, fand die Unterstützung sämtlicher Fraktionen. "Wenn Täter nicht bestraft werden können, bedeutet das für die Opfer eine zweite bittere Demütigung", äußerte Justizminister Heiko Maas, der von "eklatanten Schutzlücken" sprach, welche der Entwurf nun schließe.
Sexuelle Belästigung und sexuelle Angriffe aus Gruppen strafbar
Neben dem "Nein heißt Nein"-Prinzip sieht der Entwurf etliche weitere Änderungen und Umstellungen im Sexualstrafrecht vor. Dazu zählt auch die Einführung eines neuen § 184i, der "sexuelle Belästigung" unter Strafe stellt. Die Vorschrift soll die sog. "Grapscherfälle" erfassen, in denen ein entgegenstehender Wille aufgrund der plötzlichen Tatbegehung zuvor nicht gebildet bzw. geäußert wurde. "Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästig" wird demnach mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, in besonders schweren Fällen, insbesondere bei gemeinschaftlicher Tatbegehung, von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Der § 184i ist jedoch nicht die einzige Norm, deren Einführung an die Kölner Silvesternacht gemahnt. Insbesondere auf Druck der Union ist in den Reformverhandlungen zudem ein § 184j ergänzt worden, der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren für denjenigen vorsieht, der "eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt […],wenn von einem Beteiligten der Gruppe eine Straftat nach den §§ 177 oder 184i begangen wird und die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist."
Kritik von Strafrechtlern
Im Gegensatz zum weitgehenden Zuspruch aus der Politik ist die Meinung von Strafrechtsexperten zum Entwurf geteilt. Einige von ihnen weisen auf die bereits nach heutiger Rechtslage erheblichen, in Zukunft womöglich noch größeren Beweisschwierigkeiten im Bereich der sexuellen Nötigung hin, wenn es für die Strafbarkeit nur noch auf den (erkennbaren) Opferwillen ankommen soll.
Ob die Verurteilungsquote sich daher tatsächlich steigern wird, bleibt abzuwarten. Die emeritierte Direktorin des Kieler Universitätsinstituts für Sanktionsrecht und Kriminologie Prof. Monika Frommel hat etwa die Sorge geäußert, dass es künftig zwar nicht unbedingt zu mehr Verurteilungen Unschuldiger kommen werde, sehr wohl aber zu mehr missbräuchlichen Vorwürfen, wobei die beschuldigten Männer sich angesichts der oft ruinösen Folgen eines Sexualstrafverfahrens selbst bei späterem Freispruch gezwungen sehen könnten, sich auf eine Einstellung gegen Auflagen einzulassen.
Auch gegenüber dem Straftatbestand der sexuellen Belästigung wurde Kritik laut: Bei einem lediglich kurzen Berühren intimer Körperpartien handelt es sich nach einer Auffassung um eine Bagatelle, die nicht mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden müsse – dauere der Übergriff hingegen trotz Gegenwehr an, so sei er bereits nach heutigem Recht strafbar. Bei dem geplanten Straftatbestand des neuen § 184j wiederum sei unklar, worin genau die Tathandlung des "Beteiligens" an einer Gruppe bestehen und worin der Unterschied zu einer als Mittäter oder Teilnehmer begangenen Tat nach § 177 bzw. § 184i liegen solle. Monika Frommel bezeichnete die Norm gegenüber dem Deutschlandradio Kultur gar als "offenkundig verfassungswidrig". Eine ähnliche Konstruktion kennt das deutsche Recht allerdings bereits heute im § 231 StGB (Beteiligung an einer Schlägerei).
Mit Materialien von dpa
Constantin Baron van Lijnden, Verschärftes Sexualstrafrecht passiert den Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 07.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19931 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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