Bundeswirtschaftsminister Habeck zufolge ist sie die "größte Reform des Wettbewerbsrechts seit Ludwig Erhard": Die nun beschlossene 11. Novelle des GWB verleiht dem Bundeskartellamt eine neue Machtstellung - und ist sehr umstritten.
Die Bundesregierung hat am Mittwoch die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das sog. Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz, beschlossen. Zwar sind die Änderungen der bisherigen Gesetzeslage durch den Regierungsentwurf weniger drastisch ausgefallen als noch im Entwurf des Wirtschaftsministeriums. Dennoch handelt es sich um eine der größten Reformen des Wettbewerbsrechts der vergangenen Jahrzehnte – und sie bringt erhebliche Folgen für deutsche Unternehmen mit sich.
Zweck des Wettbewerbsrechts ist es vor allem, einen fairen und einheitlichen Wettbewerb zu gewährleisten und dabei alle unzulässigen Beschränkungen des Wettbewerbs zu verhindern. Denn Absprachen oder andere Maßnahmen von Unternehmen, die den Wettbewerb auf einem Markt verfälschen, haben deutliche negative Auswirkungen auf Preise, Produktvielfalt und Innovation. Um derartigen Entwicklungen bereits im Frühstadium entgegenwirken zu können, soll die Reform nun die Eingriffsbefugnisse der Kartellbehörden ausweiten.
Ins Rollen geraten war die Debatte um ein verschärftes Kartellrecht, nachdem die Preise für Benzin und Diesel im vergangenen Jahr rasant in die Höhe geschnellt waren. Ein Kartellrechtsverstoß konnte damals nicht nachgewiesen werden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte daraufhin ein "Kartellrecht mit Klauen und Zähnen" angekündigt.
Ein kurzer Überblick: Was ändert sich?
Zum einen gibt der Gesetzgeber dem Bundeskartellamt ein neues Eingriffsinstrument im Bereich der sogenannten Sektoruntersuchung an die Hand. Im Rahmen dieser Untersuchungen prüft die Kartellbehörde, – wenn starre Preise oder andere Umstände dies vermuten lassen – ob der Wettbewerb in einem ganzen Sektor, beispielsweise dem Kraftstoffmarkt, eingeschränkt ist. Bisher endeten solche Sektoruntersuchungen lediglich mit einem Bericht des Kartellamts.
Durch die Reform kann die Behörde nun verschiedene Maßnahmen anordnen, um festgestellte Störungen des Marktes zu adressieren. Zum Beispiel können Marktzugänge erleichtert, Konzentrationstendenzen gestoppt oder – in Extremfällen – Unternehmen entflochten werden. Vorbild hierfür ist die Marktuntersuchung der Wettbewerbsbehörde des Vereinigten Königreichs, die ebenfalls Abhilfemaßnahmen bis hin zu Entflechtungen vornehmen kann.
Bisher war Anknüpfungspunkt für Maßnahmen der Kartellbehörden ein im GWB oder europäischen Kartellrecht normierter Kartellrechtsverstoß. Das ändert sich nun: Ausreichend ist nach der Novelle bereits eine "Störung des Wettbewerbs".
Darüber hinaus wird im Fall von Kartellrechtsverstößen die Abschöpfung der daraus entstandenen Vorteile nach § 34 GWB für das Kartellamt deutlich erleichtert. Es soll eine bessere Handhabe geben, um kartellrechtswidrig erlangte Gewinne wieder zu entziehen.
Weiterhin schafft der Gesetzentwurf die rechtlichen Grundlagen dafür, dass das Bundeskartellamt die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des Digital Markets Act unterstützen kann. Dabei handelt es sich um eine EU-Verordnung, die sicherstellen soll, dass auf digitalen Märkten faire Wettbewerbsbedingungen herrschen. Relevant ist das insbesondere auf solchen Märkten, auf denen sogenannte Gatekeeper, also Unternehmen, die aufgrund ihrer Marktmacht den Marktzugang für andere kontrollieren, agieren. Auch die private Durchsetzung des Digital Markets Acts soll durch die Reform erleichtert werden.
Habeck: "Die größte Reform des Wettbewerbsrechts seit Ludwig Erhard"
Bundeswirtschaftsminister Habeck begrüßte die Reform. "Angesichts der aktuellen Krisen müssen wir die großen Stärken des Wettbewerbs konsequenter nutzen. Wettbewerb ist das beste Mittel, um Verbraucherinnen und Verbrauchern vor ungerechtfertigten Preissteigerungen zu schützen. Und Wettbewerb sorgt für Innovation. Wir brauchen Innovationswettbewerb, um Wachstum und Transformation unserer Wirtschaft zu beschleunigen. Und dazu zählt auch, das Wettbewerbsprinzip auf den Märkten aktiv durchzusetzen", so der Minister. Um Verbrauchern bessere Qualität zu besseren Preise gewährleisten zu können, müsse das Gesetz die Befugnisse der Kartellbehörden stärken.
"Wir brauchen eine Wettbewerbsbehörde mit Biss", bekräftigte Bundesjustizminister Marco Buschmann. "Das Bundeskartellamt ist eine der angesehensten Wettbewerbsbehörden der Welt. Mit der GWB-Novelle stärken wir es noch weiter." Zugleich werde mit der Novelle gesichert, dass rechtsstaatliche Grundsätze beim kartellbehördlichen Einschreiten strikt gewahrt würden. Die neuen Regelungen seien kein "Blankoscheck" für das Bundeskartellamt. Vielmehr seien die Tatbestände stark präzisiert worden, auch das Verhältnis der Maßnahmen untereinander sei bestimmt.
"Wir begrüßen das Ziel der Novelle, das Kartellrecht noch schlagkräftiger zu machen. Das zentrale Vorhaben des Gesetzentwurfes ist die Schaffung einer neuen Eingriffsbefugnis des Bundeskartellamtes im Anschluss an Sektoruntersuchungen", so auch Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes. "Im Vergleich zum ambitionierten Entwurf des Wirtschaftsministeriums ist nun der Anwendungsbereich der neuen Befugnisse im Regierungsentwurf deutlich enger. Diese können aber in bestimmten Marktsituationen immer noch dazu beitragen, wettbewerbliche Problemlagen aufzubrechen und Wettbewerb wieder zu ermöglichen." Der jetzige Entwurf sei für die Rechtspraxis jedoch mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Die in den Regierungsentwurf aufgenommenen Voraussetzungen für die neuen Befugnisse nach Sektoruntersuchungen stünden in einem Spannungsverhältnis zu dem ebenfalls verfolgten Ziel vorhersehbarer und zügiger Verfahren, so Mundt.
BDI: "Bundesregierung schwächt Standort weiter"
Nicht überall stößt die Reform auf positive Resonanz. Im Fokus der Kritik steht insbesondere, dass Anknüpfungspunkt für Eingriffsmaßnahmen der Aufsichtsbehörden künftig nicht mehr erst ein Kartellrechtsverstoß, sondern bereits eine "Störung des Wettbewerbs" sein soll. Auch die Möglichkeit, Unternehmen zu entflechten, wird heftig kritisiert.
"Deutschland ringt derzeit an vielen Stellen um seine internationale Wettbewerbsfähigkeit. Mit diesem nationalen gesetzgeberischen Alleingang schwächt die Bundesregierung den Standort weiter. Wichtige Investitionen in Innovationen und Marktwachstum werden am Standort unterbleiben, wenn Unternehmen trotz Befolgung aller Wettbewerbsregeln Sanktionen befürchten müssen", so Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI).
Der Chefjustitiar der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Stephan Wernicke, sprach von einem Paradigmenwechsel hin zur staatlichen Marktgestaltung als letztes Mittel. "Rechtmäßiges Handeln schützt Unternehmen nicht mehr vor staatlicher Intervention, sobald das Bundeskartellamt in seinem weiten Ermessen den Wettbewerb über einen längeren Zeitraum als gestört ansieht." Damit verlasse die Bundesregierung die bewährten Grundprinzipien des Europäischen Wettbewerbsrechts.
Das Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz wird nun dem Bundestag und Bundesrat zugeleitet.
pab/LTO-Redaktion
Weitreichende Befugnisse für das Bundeskartellamt: . In: Legal Tribune Online, 05.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51494 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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