Laut BGH enthielten viele ältere Prämiensparverträge unzulässige Klauseln zu variablen Zinssätzen. Die Betroffenen können nun Geld zurückverlangen - und der BGH gibt gleich mit auf den Weg, wie die Nachzahlungen zu berechnen sind.
Sparerinnen und Sparer mit alten Prämiensparverträgen, die wegen einer weit verbreiteten Klausel zu wenig Zinsen erhalten haben, bekommen Rückenwind für Nachforderungen. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschied am Mittwoch über eine erste Musterfeststellungsklage von Verbraucherschützern und bestätigte deren Position in wichtigen Punkten. Insbesondere machten die Richterinnen und Richter genauere Vorgaben, wie die Ansprüche zu berechnen sind (Urt. v. 06.10.2021, Az. XI ZR 234/20).
Viele Prämiensparverträge, die in den 1990er und 2000er Jahren zu Hunderttausenden abgeschlossen wurden, enthalten Klauseln, die die Kreditinstitute berechtigen, den Zinssatz weitgehend einseitig und frei anzupassen. Der Vorsitzende Richter Jürgen Ellenberger sprach bei der Urteilsverkündung von einer freien Anpassung "nach Gutsherrenart". Auch Volks- und Raiffeisenbanken sind betroffen, in erster Linie aber die Sparkassen.
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat nun entschieden, dass die angegriffene Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB unwirksam ist, die Verzinsung sei zu variabel gehalten. Die in den Prämiensparverträgen insoweit entstandene Regelungslücke sei durch eine ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu schließen. Der BGH begründet dies damit, dass die Klausel nicht das erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit möglicher Zinsänderungen aufweist.
Das Problem ist seit 2004 bekannt. Schon damals entschied der BGH, dass so etwas für die Kundinnen und Kunden zumindest bei langjährigen Sparverträgen unzumutbar ist.
Trotzdem haben viele Betroffene bis heute keine Nachzahlung bekommen. Verbraucherschützer werfen den Sparkassen vor, auf Zeit zu spielen, und versuchen, mit Musterfeststellungsklagen Druck zu machen. Denn viele Sparverträge sind inzwischen ausgelaufen oder wurden gekündigt. Damit drohen die Ansprüche der Kundinnen und Kunden zu verjähren.
"Leiturteil für alle betroffenen Institute"
Michael Hummel von der klagenden Verbraucherzentrale Sachsen hatte schon nach der Verhandlung am Vormittag, in der sich der Ausgang bereits abzeichnete, von einem großen Erfolg gesprochen. Prämiensparerinnen und -sparer könnten anhand der BGH-Vorgaben nun sehr konkret ihre Forderungen berechnen. Die Entscheidung gelte zwar unmittelbar nur für die mehr als 1.300 Betroffenen, die sich der Musterklage gegen die Stadt- und Kreissparkasse Leipzig angeschlossen hatten. "Aber insgesamt ist es natürlich ein Leiturteil, das für alle Prämiensparverträge aller betroffenen Institute gelten wird."
Wer sich an keiner Musterklage beteiligt hat, muss allerdings selbst bei der Bank Druck machen und die Nachzahlungen, wenn es hart auf hart kommt, erst vor Gericht durchsetzen. Auch die Musterklägerinnen und -kläger müssen möglicherweise noch Anschlussprozesse führen. Nach den Berechnungen der Verbraucherschützer hat ihnen die Leipziger Sparkasse im Durchschnitt 3.100 Euro zu wenig gezahlt.
OLG muss Zinssatz festlegen
Die Verbraucherschützer werteten vor allem als Erfolg, dass mit dem BGH-Urteil feststeht, dass der genauen Berechnung der Ansprüche ein Referenzzinssatz der Bundesbank für langfristige Spareinlagen zugrundezulegen ist. Welcher Zinssatz dafür am besten geeignet ist, muss nun allerdings noch am Oberlandesgericht (OLG) Dresden mit Hilfe eines oder einer Sachverständigen geklärt werden. Außerdem machten die Richterinnen und Richter Vorgaben, um Negativzinsen auszuschließen. Dafür müsse der anfängliche relative Zinsabstand beibehalten werden.
Das weiche "von der bisher allseits verwendeten Zinsberechnung" ab, teilte der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) mit. Der relative Abstand sei für die Verbraucher nicht immer vorteilhaft. "Wir sehen in dem Urteil deshalb nicht unbedingt eine Entscheidung im Interesse der Verbraucher". Der Dachverband der Finanzgruppe wies außerdem darauf hin, dass es um Sparverträge gehe, "die wegen einer vergleichsweise hohen Prämie für die Kunden in allen Jahren der Laufzeit außerordentlich attraktiv waren und die Rendite der meisten anderen Anlageformen deutlich übertroffen haben".
Zur wichtigen Frage, ob Ansprüche womöglich inzwischen verjährt sind, gab es keine höchstrichterliche Festlegung. Hummel sagte, die Verbraucherzentralen würden auch hier eine baldige Klärung anstreben.
Die Bürgerbewegung Finanzwende forderte die Institute auf, nun von sich aus auf alle betroffenen Kunden zuzugehen. "Es wäre unangemessen, um nicht zu sagen verwerflich, weiter auf die Trägheit
der Kundschaft zu setzen", teilte die gemeinnützige Gesellschaft mit.
dpa/pdi/LTO-Redaktion
BGH zu variablen Zinssätzen: . In: Legal Tribune Online, 06.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46228 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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