Trotz Kinderehen-Verbots: BGH bestä­tigt mit 16 gesch­los­sene Ehe

14.08.2020

Eheschließungen von unter 16-Jährigen sind nach deutschem Recht nichtig. Anders kann es aussehen, wenn die Ehe von Minderjährigen zwischen 16 und 18 eingegangen wird. Gerichte können diese ausnahmsweise bestehen lassen. 

Trotz des seit 2017 geltenden Verbots von Kinderehen hat der Bundesgerichtshof (BGH) die im Libanon geschlossene Ehe einer bei ihrer Heirat 16-Jährigen bestätigt. Im Wege einer verfassungskonformen Auslegung bejahten die Karlsruher Richter einen Ermessensspielraum des Gerichts, wenn die Ehepartner bei der Heirat zwar noch nicht 18, aber älter als 15 waren. Auch wenn damit eigentlich eine Eheaufhebungsgrund besteht, könnten Gerichte ausnahmsweise von der Aufhebung einer Ehe absehen , "wenn feststeht, dass die Aufhebung in keiner Hinsicht unter Gesichtspunkten des Minderjährigenschutzes geboten ist, sondern vielmehr gewichtige Umstände gegen sie sprechen". Der Beschluss vom 22. Juli 2018 wurde am Freitag veröffentlicht (Az. XII ZB 131/20).

Das Paar hatte 2001 im Libanon geheiratet. Er war damals 21, sie kurz vor ihrem 17. Geburtstag. Die beiden lebten seit 2002 zusammen in Deutschland und haben vier gemeinsame Kinder. Seit 2016 leben sie getrennt und sind mittlerweile auch nach islamischem Recht geschieden. Im Oktober 2018 teilte die Ehefrau auf Nachfrage einer Standesbeamtin mit, die Ehe nicht fortsetzen zu wollen. Daraufhin hat die zuständige Behörde beim Amtsgericht beantragt, die Ehe aufzuheben, weil die Ehefrau bei Eheschließung minderjährig gewesen sei. 

Gerichte in Berlin hatten die Aufhebung der Ehe abgelehnt - zu Recht, wie nun der BGH entschied. Die mittlerweile 35-jährige Frau habe 14 Jahre lang mit ihrem Ex zusammengelebt und nach Erreichen der Volljährigkeit vier eheliche Kinder bekommen. Die Aufhebung würde hier "in krassem Gegensatz zu der langjährig bewusst im Erwachsenenalter gelebten Familienwirklichkeit stehen", meinen die Richter. Die Frau könne über die Aufhebung der Ehe nicht disponieren. Wenn sie die Ehe nicht mehr fortführen wolle, stehe ihr wie jedem anderen die Scheidung offen. 

BGH: Zwingende Eheaufhebung wäre verfassungswidrig

Nach § 1314 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann eine Ehe aufgehoben werden, wenn sie mit einem Minderjährigen geschlossen wurde, der zwar älter als 16, aber noch keine 18 Jahre alt war. Damit wird den Gerichten ein Ermessen eingeräumt, bei Eheschließung durch einen mindestens 16 Jahre alten Minderjährigen trotz des darin liegenden Verstoßes gegen die Bestimmung zur Ehemündigkeit von der Eheaufhebung abzusehen. Zu diesem "zutreffenden Verständnis" kommt der XII. Zivilsenat durch eine verfassungskonformen Auslegung, nach der von mehreren Auslegungsmöglichkeiten diejenige den Vorrang hat, bei der die Rechtsnorm mit der Verfassung im Einklang steht. Ohne einen Ermessenspielraum wäre die Norm hingegen verfassungswidrig, so der BGH.  

Dann müsste die Ehe von bei der Heirat über 16-jährigen Minderjährigen zwingend aufgehoben werden. Eine solche Eheaufhebung wäre aber laut dem BGH eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung sowohl mit nach deutschem Recht geschlossenen Ehen als auch mit Auslandsehen, bei denen ein Ehegatte bei Eheschließung jünger als 16 Jahre war. Zudem wäre, so die Karlsruher Richter, eine solche Regelung unvereinbar mit dem von Verfassungs wegen gebotenen Minderjährigenschutz und verstieße gegen den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz.

Ehen von unter-16-Jährigen sind nach dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen grundsätzlich nichtig. Das Gesetz war vor dem Hintergrund gestiegener Flüchtlingszahlen verabschiedet worden. Ob das mit dem Grundgesetz vereinbar ist, hat derzeit das Bundesverfassungsgericht zu klären. Die Prüfung angestoßen hat der u.a. für das Familienrecht zuständige BGH-Senat, von dem auch die am Freitag veröffentlichte Entscheidung stammt.

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Trotz Kinderehen-Verbots: . In: Legal Tribune Online, 14.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42496 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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