BGH legt EuGH vor: Kos­ten­loser Rei­se­rück­tritt wegen Corona?

02.08.2022

Ein Pauschalurlauber tritt bei Ausbruch der Pandemie noch vor Reisebeginn von seiner Buchung zurück, wenig später wird die Reise sowieso unmöglich – muss er trotzdem die Stornogebühren zahlen? Dazu hat der BGH nun dem EuGH vorgelegt.

Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat unzählige Reisepläne durchkreuzt – darf der Veranstalter trotzdem Stornogebühren berechnen? Der Bundesgerichtshof (BGH) neigt zu einer urlauberfreundlichen Entscheidung, aber erst einmal ist Geduld gefragt: Die Karlsruher Richterinnen und Richter gaben am Dienstag bekannt, dass sie in der Frage den Europäischen Gerichtshof (EuGH) einschalten (Beschl. v. 02.08.2022, Az. X ZR 53/21).

Es ist der erste Corona-Fall im Reiserecht, der den BGH erreicht hat. Und so ähnlich wie dem Kläger dürfte es Anfang 2020 vielen gegangen sein. Er hatte bei einem Münchner Veranstalter für mehr als 6.000 Euro eine Japan-Reise gebucht, die vom 3. bis 12. April 2020 stattfinden sollte. Dann spitzte sich die Corona-Lage vor Ort zu. Anfang Februar waren im gesamten Land die Schutzmasken ausverkauft. Ende des Monats beschloss die japanische Regierung, sämtliche Großveranstaltungen abzusagen und alle Schulen zu schließen.

Anfang März trat der Mann deswegen von der Reise zurück und bezahlte vertragsgemäß 25 Prozent Stornokosten, knapp 1.540 Euro. Ende März erging für Japan ein Einreiseverbot. Nun will er das Geld zurück.

Rücktritt nur gegen Entschädigung?

Nach § 651h Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann der Reisende jederzeit von seiner Buchung zurücktreten. Dem Reiseveranstalter steht im Gegenzug eine "angemessene Entschädigung" zu – die Stornogebühren. Der Entschädigungsanspruch ist aber nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Reiseziel unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigt haben.

Umstritten ist, ob es hierbei ausschließlich auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung ankommt oder auch die spätere Entwicklung zu berücksichtigen ist. Im Fall aus München hat das Landgericht (LG) als Berufungsinstanz auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abgestellt und angenommen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise im Zeitpunkt des Rücktritts Anfang März noch nicht hinreichend wahrscheinlich war.

BGH neigt zu urlauberfreundlicher Auslegung…

Der BGH hält diese Beurteilung für fehlerhaft, weil das LG München I sich nicht mit der Frage befasst habe, ob die Maßnahmen der japanischen Regierung vor der Rücktritterklärung auf eine erhebliche Infektionsgefahr hindeuteten. Zur abschließenden Klärung müsste der Senat die Sache an das LG zurückweisen.

Eine weitere Sachverhaltsaufklärung wäre hingegen entbehrlich, wenn der Entschädigungsanspruch bereits wegen des nach dem Rücktritt angeordneten Einreiseverbots ausgeschlossen wäre – also auch die spätere Entwicklung zu berücksichtigen wäre. Die Karlsruher Richterinnen und Richter neigen in ihrem Beschluss dazu, auch Umstände zu berücksichtigen, die nach dem Rücktritt aufgetreten sind.

… legt aber zunächst dem EuGH vor

Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt nach Auffassung des BGH aber von der Auslegung des Art. 12 Abs. 2 der europäischen Pauschalreise-Richtlinie ab (Nr. 2015/2302). Deutschland hat die Vorschrift nahezu wortgleich mit § 651h BGB ins nationale Recht umgesetzt. Deshalb hat er die relevante Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. 

Der österreichische Oberste Gerichtshof, den ein ganz ähnlicher Fall beschäftigt, hatte im Januar bereits ein Vorabentscheidungsverfahren in Luxemburg angestoßen. Der deutsche BGH geht nun denselben Weg. Die Fragen seien sogar wortgleich formuliert, sagte der Senatsvorsitzende Klaus Bacher bei der Verkündung.

Inzwischen bieten viele Reiseveranstalter unter bestimmten Bedingungen eine kostenlose Umbuchung oder Stornierung wegen Corona an. Bei sogenannten Flex-Tarifen lässt sich die Möglichkeit gegen Aufpreis hinzubuchen. Reisende, die Flug und Unterkunft auf eigene Faust buchen, sind generell nicht so gut abgesichert wie Pauschalurlauber. Für sie gelten nicht dieselben Regeln.

mgö/LTO-Redaktion

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

BGH legt EuGH vor: . In: Legal Tribune Online, 02.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49214 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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