BGH sieht keine Sorgfaltspflichtverletzung: Recy­cler haftet nicht für Bom­ben­ex­p­lo­sion

05.07.2019

Beim Zerkleinern von Bauschutt explodierte versehentlich eine Weltkriegsbombe. Für Schäden an den Nachbargebäuden haftet das zuständige Recyclingunternehmen aber nicht, so der BGH.

Juristisch ging es am Freitag vor dem Bundesgerichtshof (BGH) um einen Nachbarschaftsstreit und die Frage, welche furchtbaren Zufälle man vorhersehen kann (Urt. v. 05.07.2019, Az. V ZR 96/18 und 108/18).

Ein Recyclingunternehmen aus dem rheinländischen Euskirchen war damit beauftragt, Bauschutt von einer Baustelle zu zerkleinern. Dabei gehörte es zum normalen Prozedere, größere Teile, die nicht in den Schredder passten, zuvor mit einem Zangenbagger zu zerkleinern.

An einem Tag im Januar 2014 sollte ein Mitarbeiter des Unternehmens auf dessen Gelände einen großen Betonklotz mit dem Bagger zerkleinern. Was er nicht wusste, war, dass sich unter dem Beton ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg befand. Die Bombe explodierte beim Zerkleinern, tötete den Baggerfahrer und verletzte zwei weitere Mitarbeiter schwer. Insgesamt wurden 13 Menschen verletzt. Die Druckwelle war so mächtig, dass noch 400 Meter entfernt Fensterscheiben zerbarsten.

Versicherer benachbarter Grundstücke verlangen Regress

In Karlsruhe ging es nun um den Schaden, der an den Nachbargebäuden des Gewerbegrundstücks entstanden war. Die Versicherer der beiden Gebäude, die zunächst den Schaden reguliert hatten, wandten sich daraufhin an das Recyclingunternehmen und verlangten Regress in Höhe von mehr als einer Million Euro, schließlich habe der Entsorger so etwas vorherzusehen. Die Versicherer beriefen sich auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung* und einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch.

Dass eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg im Schutt auf einen Recyclinghof gerät, scheint sehr selten zu sein: Die Richter am Landgericht Bonn und am Oberlandesgericht Köln waren als Vorinstanzen nur auf einen vergleichbaren Fall gestoßen.

Die Instanzgerichte entschieden letztlich nicht im Sinne der Versicherer, sodass die Sache schließlich beim V. Zivilsenat des BGH landete. Der sah nun aber ebenfalls keine Veranlassung, das Unternehmen für die Bombenexplosion in Haftung zu nehmen.

BGH: Sichtprüfung ohne  Befund

Bei ganz normalem Bauschutt, so die Ansicht des Senats, müsse nicht damit gerechnet werden, dass ein größeres Betonstück eine Bombe enthält. Im vorliegenden Fall sei dem Unternehmen nichts bekannt gewesen, was darauf hätte schließen lassen, dass solch eine Gefahr besteht. Es könne auch nicht verlangt werden, dass ein Recyclingunternehmen jeden Bauschutt zunächst mit technischen Hilfsmitteln auf Explosivstoffe untersuche, so der BGH. "Natürlich ist eine Sichtprüfung erforderlich", sagte die Vorsitzende Richterin Christina Stresemann. In dem Fall hatte die Bombe laut Augenzeugenberichten aber nirgendwo herausgeragt. Zudem hätte die Überprüfung, um effektiven Schutz für alle Beteiligten zu gewährleisten, nach Ansicht der Karlsruher Richter auch schon auf der Abbruchstelle, also vor dem Abtransport der Bruchstücke geschehen müssen.

So scheiterte zunächst der Anspruch aus unerlaubter Handlung, doch auch einen verschuldensunabhängigen nachbarschaftsrechtlichen Ausgleichsanspruch vermochte der BGH nicht zu erkennen. Denn wenngleich die Firma die Explosion verursacht habe und damit juristisch als Störerin anzusehen sei, handele es sich nicht um eine in der Nutzung des Grundstücks begründete Gefahr. Dem Risiko, dass ein Blindgänger auf dem Grundstück explodiert, stehe die Firma nicht näher als der geschädigte Nachbar. Die Explosion habe die Beteiligten, wie es in der Mitteilung des BGH heißt, "gleichermaßen zufällig und schicksalhaft" getroffen.

Dass die Bombe ausgerechnet dort hochgegangen sei, sei reiner Zufall gewesen, sagte Stresemann. Das hätte "genauso gut schon auf der Baustelle passieren können" oder beim Transport des Schutts. "Es ist letztlich ein gesamtgesellschaftliches Risiko." Anders sähe die Sache laut Urteil nur aus, wenn das Gelände einem Unternehmen gehört hätte, das auf Bombenentschärfungen spezialisiert ist.

Viele Blindgänger in NRW 

Fast 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs liegen in Deutschland immer noch viele Blindgänger. Normalerweise werden sie bei systematischen Suchen rechtzeitig entdeckt und entschärft oder kontrolliert gesprengt. Dabei stützen sich die Experten vor allem auf alte Luftbilder, die die Alliierten vor und nach ihren Angriffen machten. Es gibt aber auch immer wieder Zufallsfunde.

Nordrhein-Westfalen mit seiner Schwerindustrie war besonders stark von den Luftangriffen betroffen. Dort haben Kampfmittelbeseitiger allein im vergangenen Jahr noch mehr als 2.800 Bomben unschädlich gemacht. 291 davon hatten ein Gewicht von 50 Kilogramm oder mehr.

mam/LTO-Redaktion

Mit Materialien von dpa

*Anm. d. Red.: Fehler ausgebessert am Tag der Veröffentlichung, 17.16 Uhr

Zitiervorschlag

BGH sieht keine Sorgfaltspflichtverletzung: . In: Legal Tribune Online, 05.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36317 (abgerufen am: 22.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen