BGH: Vorlage an EuGH im Verfahren gegen Daimler AG

von plö/LTO-Redaktion

23.12.2010

In einem Kapitalanleger- Musterverfahren gegen die Daimler AG wegen angeblich verspäteter Ad-hoc-Mitteilung über das vorzeitige Ausscheiden ihres damaligen Vorstandsvorsitzenden Prof. Schrempp hat der BGH dem EuGH Fragen zur Auslegung der Richtlinie über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation und der zu deren Durchführung erlassenen Richtlinie zur Vorabentscheidung vorgelegt.

In dem Musterverfahren, dem eine Vielzahl von Klagen von Aktionären zugrunde liegt, werden Schadensersatzansprüche nach § 37b Abs. 1 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) geltend gemacht. Der Musterkläger ist der Ansicht, eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation über das Ausscheiden von Schrempp habe spätestens im Mai 2005 seit dem Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper vorgelegen. Nach dem 17. Mai 2005, aber vor der Ad-hoc-Mitteilung über das Ausscheiden am 28. Juli 2005, seien Aktien der Musterbeklagten zu einem Kurs von 31,85 € bzw. 36,50 € verkauft worden. Da der Kurs der Daimler-Aktien nach der Ad-hoc-Mitteilung noch am selben Tag auf 40,40 € und in der Folgezeit auf 42,95 € angestiegen sei, habe das Unterlassen der rechtzeitigen Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung zu einem entsprechenden Veräußerungsschaden geführt, den die Musterbeklagte zu ersetzen habe.

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hatte in einem ersten Musterentscheid festgestellt, dass durch die Vorgänge im Zusammenhang mit dem vorzeitigen Ausscheiden Schrempps eine Insiderinformation im Sinne des § 37 b Abs. 1 WpHG erst aufgrund der Entscheidung des Aufsichtsrats am 28. Juli 2005 um ca. 9.50 Uhr entstanden sei und die Musterbeklagte diese unverzüglich veröffentlicht habe. In einem ersten Rechtsbeschwerdeverfahren hatte der BGH (Bundesgerichtshof) im Februar 2008 diesen Musterentscheid aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen (Beschl. v. 25.2.2008, Az. II ZB 9/07).

Das OLG hat nun festgestellt, dass frühestens am 27. Juli 2005 mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats der Musterbeklagten nach 17.00 Uhr eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation über die Zustimmung des Aufsichtsrats zum einvernehmlichen Rücktritt zum Jahresende entstanden sei. Auch bei gestreckten Vorgängen komme es nicht darauf an, ob bereits Zwischenschritte - wie hier etwa die Unterrichtung des Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper im Mai 2005 oder des Nachfolgers Dr. Zetsche im Juni 2005 über die Rücktrittsabsichten Schrempps - den Kurs der Aktie beeinflussen könnten; maßgeblich sei vielmehr, ob das künftige Ereignis, das das OLG hier im Beschluss des Aufsichtsrats vom 28. Juli 2005 gesehen hat, hinreichend wahrscheinlich sei.

Die Entscheidung über die Musterrechtsbeschwerde hängt davon ab, ob bei einem zeitlich gestreckten Vorgang Zwischenschritte selbständig von Bedeutung und damit veröffentlichungspflichtig sein können oder nur dann, wenn der Eintritt des angestrebten künftigen Ereignisses mit ihrer Verwirklichung hinreichend wahrscheinlich wird und ob die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts des künftigen Ereignisses eine Beurteilung mit überwiegender oder sogar hoher Wahrscheinlichkeit verlangt.

Dies lässt sich nach Auffassung des BGH durch Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Marktmissbrauchs- und Art. 1 Abs. 1 und 2 der Durchführungs-Richtlinie, auf deren Umsetzung die deutschen Vorschriften über Insiderinformationen beruhen, nicht zweifelsfrei beantworten. Der BGH hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) diese Fragen nach Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschl. v. 22.11.2010 – II ZB 7/09).

Zitiervorschlag

BGH: . In: Legal Tribune Online, 23.12.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2217 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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