Vom Abgasskandal betroffene Diesel-Besitzer haben grundsätzlich Anspruch auf Schadensersatz von Volkswagen. Mehr als drei Jahre durften sie sich mit dem Klagen allerdings nicht Zeit lassen, sagt jetzt der BGH. Aber jeder Fall ist anders.
Wer seit 2015 weiß, dass sein Fahrzeug vom sogenannten Dieselskandal betroffen ist, aber erst 2019 Schadensersatzklage gegen Volkswagen erhebt, geht unter Umständen leer aus. 2015, als der millionenfache Betrug mit der illegalen Abgastechnik aufflog, sei schon genug bekannt gewesen, um vor Gericht zu ziehen, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Donnerstag in einem Musterfall (Urt. v. 17.12.2020, Az. VI ZR 739/20). Wer damals nachweislich wusste, dass auch sein Auto betroffen ist, hätte demnach bis spätestens Ende 2018 klagen müssen.
Der Kläger hatte seinen VW Touran im April 2013 neu für knapp 28.000 Euro gekauft. Das Auto hat den problematischen Motor vom Typ EA189, war also unzweifelhaft mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet, die dafür sorgt, dass das Fahrzeug im Test Stickoxid-Grenzwerte einhält, die sonst gerissen werden. Wie seit Mai höchstrichterlich entschieden ist, haben solche Diesel-Besitzer Anspruch auf Schadensersatz, weil sie vom VW-Konzern auf sittenwidrige Weise getäuscht wurden. Der Abgasskandal bei VW war im September 2015 publik geworden und hatte danach über Wochen und Monate die Berichterstattung der Medien beherrscht.
In dem vom BGH nun entschiedenen Fall klagte der Käufer aber nicht sofort, sondern erst vier Jahre später. Am Landgericht (LG) Stuttgart verlangte er 2019 Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. VW erhob dagegen die Einrede der Verjährung. Das LG gab der Klage teilweise statt, das Oberlandesgericht wies sie dagegen ab.
Klage schon 2015 erfolgsversprechend
Die Revision des Autokäufers blieb am BGH ohne Erfolg. Für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren müsse der Geschädigte von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangen. Dies sei der Fall, "wenn ihm die Erhebung einer Schadensersatzklage Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos möglich und zumutbar ist", hieß es. Der Kläger habe aber schon im September 2015 Kenntnis vom Dieselskandal gehabt und auch gewusst, dass sein Fahrzeug betroffen ist.
Für die Zumutbarkeit der Klageerhebung und damit den Beginn der Verjährungsfrist bedurfte es laut BGH auch keiner näheren Kenntnis des Klägers von den "internen Verantwortlichkeiten" bei VW. "Insbesondere war es nicht erforderlich, die Verwirklichung des Tatbestands des § 826 BGB zuverlässig einer namentlich benannten Person im Hause der Beklagten zuzuordnen", entschied der Senat. Welche konkrete Person das sittenwidrige Verhalten an den Tag gelegt habe, müsse der Kläger nicht darlegen.
Auch darauf, ob der Kläger bereits 2015 aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zog, insbesondere aus ihnen einen Anspruch aus § 826 BGB herleitete, komme es nicht an. Die Rechtsverfolgung habe schon 2015 hinreichende Aussicht auf Erfolg versprochen und sei zumutbar gewesen, entschied der BGH.
Laut VW sind noch rund 9.000 Verfahren offen, in denen erst 2019 oder 2020 geklagt wurde. Der Wolfsburger Autobauer geht aber nicht davon aus, dass all diese Klagen mit dem Karlsruher Urteil vom Tisch sind. VW-Anwältin Martina van Wijngaarden hatte nach der Verhandlung am Montag gesagt, der Fall sei besonders, weil klar sei, dass der Kläger 2015 Bescheid wusste. "In vielen Fällen ist die Frage, ob Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorliegt, hingegen streitig."
Der VI. Zivilsenat hat dazu bereits eine weitere Verhandlung im neuen Jahr in Aussicht gestellt. Für den 23. Februar haben die Richter außerdem schon die drei nächsten VW-Diesel-Fälle terminiert. Dann geht es unter anderem um die Frage, ob auch das aufgespielte Software-Update eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen könnte.
acr/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
BGH sieht Ansprüche gegen VW als verjährt an: . In: Legal Tribune Online, 17.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43773 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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