Die Bild durfte 25 Jahre nach dem Tod von Walter Sedlmayer nicht mit Namensnennung, Foto und grausamen Details über einen der verurteilten Mörder berichten. Ein nun rechtskräftiges Urteil des OLG Köln stellt auf dessen Resozialisierung ab.
Es bleibt dabei: Bild.de durfte im Jahr 2015 nicht identifizierend über die verurteilten Mörder des Volksschauspielers Walter Sedlmayer berichten. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine Nichtzulassungsbeschwerde des Springer Verlags abgewiesen, es bleibt damit bei einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln (OLG) aus dem Jahr 2017 (Urt. v. 22.06.2017 Az. 15 U 171/16). Die Kölner Richter entschieden damals, dass auch ein von dem Verurteilten angestrengter Zivilprozess dem Springer Verlag keinen Anlass dafür biete, 18 Jahre nach der Tat mit Bild und Namensnennung über ihn zu berichten.
Der VI. Zivilsenat des BGH sah nun keinen weiteren Klärungsbedarf, die Rechtssache sei weder grundsätzlich bedeutsam noch erforderten die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BGH, so die Karlsruher Richter mit Beschl. v. 23. Juli 2019, der LTO vorliegt (Az. VI ZR 291/17). Die OLG-Entscheidung ist damit rechtskräftig, in diesem Fall hat der Sedlmayer-Mörder gewonnen.
Es ist sein erster Sieg. Dabei schrieb der Seldmayer-Mord bereits (Presse-)Rechtsgeschichte, als die beiden Männer durch alle Instanzen bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zogen, um identifizierende Berichterstattung über sie nach dem Mord, auch teils 14 Jahre später, nach ihrer Haftentlassung, aus den Online-Archiven entfernen zu lassen. Die Richter in Straßburg billigten ihnen jedoch, wie schon zuvor der BGH, im Jahr 2018 kein solches Recht auf Vergessenwerden zu.
Dieses Mal lief es anders: Mit dem rechtskräftigen Urteil des BGH steht fest, dass Bild den Verurteilten nicht noch einmal so konkret mit der Tat in Verbindung bringen durfte. Dabei betont das OLG das Recht des Täters auf Resozialisierung besonders.
25 Jahre nach der Tat: Das Persönlichkeitsinteresse überwiegt
Der Mord an Walter Sedlmayer liegt nun schon knapp 30 Jahre zurück. Am 15. Juli 1990 wurde der Schauspieler von seinem Privatsekretär tot in seiner Wohnung in München aufgefunden. Er war mit mehreren Messerstichen an Hals und Nieren verletzt und dann mit einem Hammer erschlagen worden. Die mediale Aufmerksamkeit war groß, zumal sich nach der Tat herausstellte, dass das bürgerliche Saubermann-Image des Getöteten seinem Privatleben nach damaligen Maßstäben offenbar nicht entsprach. Verurteilt wurden schließlich nach Ermittlungen in unterschiedliche Richtungen sein ehemaliger Ziehsohn sowie dessen Halbbruder.
Nachdem die beiden nach 14 und 15 Jahren Haft in den Jahren 2007 und 2008 freigelassen wurden, flammte die mediale Aufmerksamkeit erneut auf. Einer der beiden Männer, die bis heute bestreiten, die Tat begangen zu haben, verklagte den Freistaat Bayern auf Schadensersatz. Diesen Zivilprozess nahm u.a. Bild.de zum Anlass, im Jahr 2015, also 25 Jahre nach der Tat, erneut über den Mord zu berichten. Dazu schilderte die Onlineplattform der Boulevardzeitung im Münchner Regionalteil unter der Überschrift "Sedlmayr-Mörder will über 20.000 Euro haben" zahlreiche Details vom Tatort und veröffentlichte Fotos der Täter sowie deren Namen.
Auch gegen diese Berichterstattung zog einer der beiden Verurteilten*, nun vertreten durch die Presserechtler der Kölner Kanzlei Höcker Rechtsanwälte, vor Gericht. Dieses Mal hat er gewonnen. Das OLG Köln entschied in der nun rechtskräftig gewordenen Entscheidung, dass die Berichterstattung einen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der beiden Männer darstelle und deshalb rechtswidrig sei. Das Gericht begründete das im Jahr 2017 u.a. damit, dass durch die erneute Berichterstattung der Fall nicht nur bei denen wieder ins Gedächtnis gerufen werde, die bereits die frühen Prozesse um die beiden Männer verfolgt hatten, sondern auch bei denen, die aufgrund ihres Alters noch gar nichts über die Männer wussten.
Identifiziert, stigmatisiert, in Resozialisierung gefährdet
Neben dem erheblichen Eingrif in sein Persönlichkeitsrecht, das angesichts des erheblichen Zeitablaufs seit der Tat das Interesse der Öffentlichkeit überwiege, stellten die Kölner Richter auch auf sein hohes Resozialisierungsinteresse ab. "Er hat seine Haftstrafe verbüßt, wurde im Jahre 2008 auf Bewährung entlassen und hat seither sämtliche Bewährungsauflagen erfüllt", heißt es in der Begründung. Durch seine namentliche Nennung im streitgegenständlichen Beitrag werde die Tat als solche und seine Täterschaft bei den Rezipienten wieder in Erinnerung gerufen, so die Kölner Richter. Zudem habe die Bild-Berichterstattung den Mann nicht nur identifiziert, sondern durch die Nennung grausamer Details zudem weiter stigmatisiert. Höcker-Anwalt Dr. Lucas Brost kommentierte: "Auch ein verurteilter Mörder hat das Recht darauf, nach Verbüßung der Strafe in Ruhe gelassen zu werden. Das versteht unser Rechtsstaat unter Resozialisierung".
Die Richter stellten auch klar, dass aus ihrer Sicht weder die teilweise Bezahlschranke vor dem Bild.de-Artikel noch die Grundsätze der sog. Archivrechtsprechung eine Rolle spielen, wenn, wie im Fall von Bild.de, der Artikel aktiv vom Verlag auf die Seite gestellt wurde, es sich also gerade nicht um bloß auf aktive Recherche von Suchenden auffindbare alte Inhalte handelt. Es war also eine andere Frage als die, über die ein Jahr später, im Jahr 2018, der EuGH entschied.
Der berücksichtigte zu Lasten der auf Löschung der Online-Archive der großen Medienhäuser klagenden Verurteilten, dass die beiden Männer im Jahr 2004 selbst ausdrücklich um eine erneute Berichterstattung gebeten hatten. Damals strebten sie, noch in Haft sitzend, ein Wiederaufnahmeverfahren des Strafprozeses an und traten im Zuge dessen selbst an die Medien heran mit der Bitte, erneut über die Einzelheiten zu berichten. Darauf stützte sich der EuGH unter anderem, als er 2018 urteilte, dadurch sei ein Recht auf Vergessenwerden wieder in die Ferne gerückt. Für das OLG Köln, das sich eben nicht mit alten Archivbeiträgen, sondern mit aktueller Berichterstattung 25 Jahre nach der Tat zu befassen hatte, spielte das im Jahr 2017 keine Rolle: Diese "Selbstöffnung" habe im Jahr 2015, als der Bild.de-Artikel erschien, bereits elf Jahre zurückgelegen, so dass daraus keine Rückschlüsse mehr für eine aktuelle Berichterstattung gezogen werden könnten.
Präzisierung am Tag der Veröffentlichung, 18:05 Uhr (pl)
Pia Lorenz, Doch etwas Recht auf Vergessenwerden: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36843 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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