Der BGH hat eine wichtige Entscheidung zum "Verbreiten" kinderpornografischer Inhalte veröffentlicht. Der Begriff in § 176c Abs. 2 StGB ist weit auszulegen, so der BGH.
Erst kürzlich hat der Bundestag die von der GroKo beschlossenen Strafverschärfungen im Bereich der Kinderpornografie teilweise rückgängig gemacht. Unter anderem konnten sich Lehrer oder Eltern eines Verbrechens strafbar machen, nur weil sie über vorgefundene kinderpornografische Inhalte informieren wollten.
Jetzt hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit dem Begriff des "Verbreitens" in § 176c Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) beschäftigt. Die Vorschrift des § 176c StGB mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren betrifft den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern. Mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wird nach § 176c Abs. 2 StGB auch bestraft, wer in den genannten Fällen als Täter oder anderer Beteiligter in der Absicht handelt, eine Tat zum Gegenstand eines pornografischen Inhalts zu machen, der im Sinne von § 184b Abs. 1 oder 2 StGB verbreitet werden soll. Der Begriff des "Verbreitens" in § 176c Abs. 2 StGB ist jedoch – anders als der in § 184b StGB – weit auszulegen. Er erfasst alle in § 184b Abs. 1 genannten Varianten der Hergabe oder Zugänglichmachung, so der BGH in einem am Freitag veröffentlichten Urteil (Urt. v. 16.05.2024, Az. 3 StR 112/23).
BGH: LG hat zu engen Verbreitungsbegriff angenommen
Der zugrundeliegende Fall betraf zwei Angeklagte, die das Landgericht (LG) Wuppertal jeweils u. a. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, teilweise in Tateinheit mit Herstellen pornografischer Schriften oder Inhalte, verurteilt hatte. Für einen Angeklagten, der bei den Taten teilweise noch minderjährig war, hatte das LG Wuppertal die mehrjährige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und von einer Jugendstrafe im Übrigen abgesehen. Der andere, ältere Angeklagte war zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Beide hatten sich in verschiedenen Fällen sexuell an mehreren Kindern vergangen und von den Tatgeschehen Foto- bzw. Videoaufnahmen angefertigt.
Ausweislich der Feststellungen des Landgerichts stellte der jüngere Angeklagte die Aufnahmen seiner Missbrauchstaten mindestens einer anderen Person zur Verfügung. In einigen Fällen beabsichtigte er eine Weitergabe der Aufnahmen bereits bei Vornahme der sexuellen Handlungen.
Anders als das LG sieht der BGH darin einen schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in pornografischer Absicht im Sinne von § 176c Abs. 2 StGB. Das LG habe seiner rechtlichen Beurteilung einen zu engen Verbreitungsbegriff des § 176c Abs. 2 StGB zu Grunde gelegt, so der BGH. Es habe angenommen, eine Verbreitungsabsicht im Sinne des Qualifikationstatbestandes sei nur gegeben, wenn der Täter bereits bei dem sexuellen Missbrauch beabsichtige, hiervon einen kinderpornographischen Inhalt anzufertigen und diesen im Sinne von § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Hs. 1 Alt. 1 StGB zu verbreiten. Hierzu müsste er einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht werden. Das hatte das LG abgelehnt, da es hier nur um (mindestens) eine Person ging.
Dieses Normverständnis geht fehl, so der BGH.
Verweis in § 176c Abs. 2 StGB erfasst sämtliche Varianten in § 184b
Der Begriff des "Verbreitens" sei nicht im engen Sinne des Verbreitungsbegriffs des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Hs. 1 zu verstehen, so der BGH. § 176c Abs. 2 StGB verweise auf § 184b Abs. 1 und 2 insgesamt und erfasse damit sämtliche dort genannten Varianten der Hergabe und des Zugänglichmachens.
Hier geht es um die sogenannte Drittbesitzverschaffung nach Abs. 1 S. 1 Nr. 2, das heißt, der Täter verschafft einer anderen Person Besitz an einem kinderpornografischen Inhalt. Das genüge zur Verwirklichung des § 176c Abs. 2 StGB, so der BGH.
Dagegen genüge es nicht, dass der Täter allein in der Absicht handelt, das Missbrauchsgeschehen zu filmen oder zu fotografieren. Dagegen spreche bereits der Wortlaut des § 176c Abs. 2, der eine doppelte Absicht voraussetzt: Erstens bei der Tat einen kinderpornografischen Inhalt zu erstellen und zweitens in der Hinsicht, den Inhalt anschließend zu verbreiten.
Hier hat der Begriff des "Verbreitens" in § 176c Abs. 2 StGB laut BGH einen eigenständigen Bedeutungsgehalt: Die bloße Herstellung eines kinderpornografischen Inhalts genüge nicht, hinzukommen müsse immer die Absicht einer anschließenden Verbreitung im Sinne einer der in § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 aufgeführten Varianten. Der Qualifikationstatbestand solle gerade den erhöhten Unrechtsgehalt erfassen, wenn der Täter Fotos oder Videos seiner Missbrauchshandlungen weitergibt bzw. weiterzugeben beabsichtigt.
LG muss neu über Rechtsfolgen entscheiden
Bei dem jüngeren Angeklagten hat der BGH den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Strafprozessordnung (StPO; Zurückverweisung) geändert. Eine andere Kammer des LG wird jetzt über die Rechtsfolgen zu entscheiden haben.
Dabei wird es insbesondere darum gehen, ob die Jugendkammer nunmehr neben der Unterbringung in der Psychiatrie auch eine Jugendstrafe verhängt. Gemäß § 5 Abs. 3 Jugendgerichtsgesetz (JGG) hatte sie dies bislang für entbehrlich gehalten. Ausweislich des psychiatrischen Gutachtens müsse der Angeklagte voraussichtlich mindestens fünf Jahre in der geschlossenen Unterbringung eines psychiatrischen Krankenhauses behandelt werden, daneben sei eine Jugendstrafe nicht erforderlich, hatte das LG ausgeführt.
Jetzt stehen aber schwerere Vorwürfe im Raum, sodass eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein kann. Wegen des besonders engen Sachzusammenhangs zwischen der Verhängung von Jugendstrafe und der Maßregelanordnung hat der BGH auch die – für sich genommen aus seiner Sicht rechtsfehlerfrei begründete – Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben.
Bei der Verurteilung des älteren Angeklagten hat der BGH keine Rechtsfehler gesehen. Das Urteil des LG hat in dieser Hinsicht daher Bestand.
BGH zur Verbreitung kinderpornografischer Inhalte: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54994 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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