Der III. Zivilsenat des BGH hat über die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen eine Amtshaftung des Staates für Richter wegen überlanger Verfahrensdauer eines Zivilprozesses besteht. Anlaß für das nunmehr erfolgte Urteil war eine Klage auf Ausfallentschädigung gegen das Land Nordrhein-Westfalen.
Der Kläger betrieb ein Transportunternehmen, das in den Jahren 1981/1982 für eine Baufirma als Subunternehmer tätig gewesen war. Nachdem unter den Parteien über die Art und Weise der Abrechnung Streit entstanden war, erhob der Kläger 1984 Klage auf Zahlung restlichen Werklohns.
Nachdem sich der Rechtsstreit über mehrere Jahre hingezogen hatte gab das Landgericht (LG) Detmold der Klage teilweise statt (Az. 8 O 36/05). Beide Parteien gingen gegen das Urteil in Berufung. Während des Berufungsverfahrens geriet die Baufirma in Insolvenz.
Seinen diesbezüglichen Ausfallschaden machte der Kläger nunmehr gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen mit der Begründung geltend, die im Vorprozess tätigen Gerichte hätten pflichtwidrig das Verfahren nicht ausreichend gefördert. Wäre dies geschehen, so wäre der Prozess lange Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet gewesen mit der Folge, dass er von der Beklagten noch sein Geld bekommen hätte.
Das LG hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm das Land zur Zahlung von über 530.000 Euro nebst Zinsen verurteilt (Az. I - 11 U 27/06). Es begründete sein Urteil mit Verstößen gegen die gerichtliche Prozessförderungspflicht. Ohne diese Verzögerung hätte der Kläger im Vorprozess noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein für ihn günstigeres vollstreckungsfähiges Berufungsurteil erlangen können.
Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des beklagten Landes hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (Az. III ZR 32/10):
Grundsätzlich sei der Zeitfaktor auch bei langer Verfahrensdauer nicht der allein entscheidende Maßstab für die Prüfung einer Pflichtwidrigkeit.
Gemäß § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB könne die Anstellungskörperschaft wegen eines Fehlurteils nur dann auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, wenn dem Richter eine Rechtsbeugung anzulasten ist. Praktisch bedeute dies, dass eine Inanspruchnahme des Staates für Fehlurteile nahezu ausscheidet (Richterspruchprivileg). So stellten richterliche Hinweise oder der Erlass eines Beweisbeschlusses zwar keine Urteile im prozessualen Sinn dar, stünden aber in einem so engen Zusammenhang mit dem Urteil, dass sie von diesem haftungsmäßig nicht getrennt werden könnten.
Folglich sei es ohne Belang, wenn die Erteilung von beispielsweise Hinweisen und Auflagen zu einer Verlängerung des gerichtlichen Verfahrens führten.
Aber auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB erlange der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit seine Bedeutung. Daraus folge, dass das richterliche Verhalten bei der Prozessführung im Amtshaftungsprozess generell nur auf seine Vertretbarkeit hin zu überprüfen sei.
Der III. Zivilsenat des BGH sieht in diesem Urteil eine Konkretisierung der anzuwendenden Maßstäbe, wenn einem Richter Verzögerungen bei der Ausübung seines Amtes vorgeworfen werden. Er weist jedoch auch darauf hin, dass sich die rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Entscheidung völlig neu stellen wird, falls der Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (BT-Drucks. 17/3802) Gesetzeskraft erlangen sollte.
Durch dieses Gesetz soll eine Entschädigungspflicht zugunsten desjenigen eingeführt werden, der "infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet". Aufgrund dieser weit gefassten Formulierung erwartet der BGH, dass künftig Klagen wegen überlanger Dauer von Gerichtsverfahren weit häufiger als bisher erhoben werden.
BGH: . In: Legal Tribune Online, 06.12.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2097 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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