In Sachen Netzpolitik.org gerät der Justizminister ins Visier. Der BGH-Richterverein fordert, seine Einflussnahme zu prüfen. Das BMI räumte am Donnerstag ein, länger über die Ermittlungen gegen Journalisten informiert gewesen zu sein.*
Nach der Versetzung von Generalbundesanwalt Harald Range in den einstweiligen Ruhestand nimmt die Kritik an Justizminister Heiko Maas (SPD) zu. Der Verein der Bundesrichter und Bundesanwälte beim Bundesgerichtshof (BGH) warnt in einer Pressemitteilung vom Dienstag vor einer schwerwiegenden Gefährdung des Rechtsstaats. Die Bundesrichter halten es für "geboten, die Einflussnahme des Bundesjustizministeriums der Justiz und für Verbraucher (BMJV) auf das laufende Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts und die Hintergründe für dessen Entlassung näher zu überprüfen".
Strafanzeige haben die Bundesrichter nicht erstattet, teilte ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft LTO mit. Die dortigen Prüfungen, ob ein Anfangsverdacht für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Strafvereitelung gegen Heiko Maas besteht werde, beruhten auf Strafanzeigen von Bürgern. Der Verein der BGH-Richter gedenkt dagegen nicht, Anzeige zu erstatten. Die "tatsächliche Aufklärung, sei sie strafrechtlicher oder politischer Natur, etwa in Form eines Untersuchungsausschusses", überlasse man lieber Dritten, so der Sprecher des BGH-Richtervereins gegenüber LTO.
Ein Antrag der Grünen auf eine Sondersitzung des Rechtsausschusses des Bundestags, bei dem Justizminister Heiko Maas, Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen Auskunft geben sollten, wurde am Mittwoch abgelehnt.
Update, DO, 15:18 Uhr: Am Donnerstag räumte laut Tagesschau.de der Sprecher von Thomas de Maizière ein, dass das Innenministerium entgegen seiner bisherigen Darstellung von Anfang an umfassend über die Ermittlungen - auch gegen Journalisten - und das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz informiert gewesen ist. Das interne Gutachten begründet, weshalb die Behörde in der Veröffentlichung von Dokumenten durch Netzpolitik.org einen Verrat von Staatsgeheimnissen und damit den Tatbestand des Landesverrats verwirklicht sah. Eine Reaktion habe es nicht gegeben, weil man diese Rechtsauffassung für "vertretbar" gehalten habe.
Bundesrichter: rechtswidrig in ordnungsgemäße Ermittlungen eingegriffen
Der Justizminister hatte, nachdem öffentlich bekannt geworden war, dass Harald Range ein Ermittlungsverfahren gegen den Blog Netzpolitik.org wegen Landesverrats eingeleitet hatte, auf diesen eingewirkt, ein Gutachten, welches die strafrechtlichen Vorwürfe gegen die Blogger bejahte, zu stoppen. Range hatte eine Weisung behauptet und einen "unerträglichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz" kritisiert. Nach Angaben von Maas hat das BMJV dieses Vorgehen einvernehmlich mit Range besprochen. Er erklärte das Vertrauensverhältnis zu Range am Dienstag für zerrüttet und enthob ihn seines Amtes.
Der Verein der Bundesrichter und Bundesanwälte beim BGH betrachtet diese "politische Einflussnahme auf das laufende Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts wegen öffentlicher Bekanntgabe von Staatsgeheimnissen mit großer Sorge", heißt es. Das Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats habe den Vorgaben des Gesetzes entsprochen, erklären die Bundesrichter.
Und werden noch deutlicher: Aufgrund der bisher vorliegenden Informationen gebe es "Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Behinderung der Ermittlungen des Generalbundesanwalts". Es sei der Eindruck entstanden, "dass in die laufenden prozessordnungsgemäßen Ermittlungen eingegriffen wurde, um ein bestimmtes – politisch gewolltes – Ergebnis zu erreichen, und zwar durch eine gezielte Steuerung der Beweisaufnahme". Die Expertise eines neutralen Gutachters habe offenbar durch ein Behördengutachten des Ministeriums ersetzt werden sollen, so die Karlsruher Richter.
Derartige Eingriffe bewirkten "- möglicherweise gewollt -, dass klärungsbedürftige Fragen, die immerhin die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betreffen, von der Rechtsprechung ferngehalten und damit den unabhängigen Gerichten entzogen werden. Dadurch wird nicht nur das Amt des Generalbundesanwalts, sondern auch der Rechtsstaat beschädigt", so der Verein in ungewohnter Deutlichkeit.
Der Verein hat nach Angaben seines Sprechers 300 Mitglieder, davon 150 aktive. 90 von ihnen sind Richter, 60 dem Generalsbundesanwalt unterstellte sogenannte Bundesanwälte. Nach Angaben von Sprecher Harald Reiter sind damit ca. 70 Prozent der Richterschaft dort organisiert. Bei der vom Vorstand getroffenen Entscheidung, sich zur Affäre Netzpolitik.org zu äußern, hätten die Bundesanwälte sich enthalten, so Reiter.
* Teaser kurz nach Veröffentlichung wegen neuer Entwicklungen im Bundesinnenministerium geändert am Donnerstag, 06.08.2015, 15:22 Uhr.
Pia Lorenz und Anne-Christine Herr, Sogar von BGH-Richtern: . In: Legal Tribune Online, 06.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16520 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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