BGH zum Nachweis eines Kartellschadens: Streit über Scha­den­er­satz für pri­vaten Lot­to­ver­mittler geht weiter

13.07.2016

Nach einem Kartellrechtsverstoß der staatlichen Lottogesellschaften bekommt ein privater Lottovermittler wohl nicht den erhofften Schadenersatz. Das Urteil des BGH ist auch mit Blick auf den Brexit interessant.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Reichweite der Bindungswirkung eines im Kartellverwaltungsverfahren festgestellten Kartellverstoßes und die Anforderungen an einen darauf aufbauenden Schadensersatzanspruchs konkretisiert (Urt. v. 12.07.2016, Az. KZR 25/14 – Lottoblock II).

Die Klägerin, eine gewerbliche Spielvermittlerin, verlangt von der Beklagten, der Lottogesellschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Schadensersatz wegen eines Kartellrechtsverstoßes.

Die Veranstaltung von Lotterien ist in Deutschland grundsätzlich den Lottogesellschaften der Bundesländer vorbehalten, die sich im Deutschen Lotto- und Totoblock (DLTB) zusammengeschlossen haben. Ab April 2005 versuchte die Klägerin mit verschiedenen Kooperationspartnern, ein Vermittlungsnetzwerk für Spieleinsätze bei den staatlichen Lotterien aufzubauen. Dazu sollten Verkaufsstellen in Einzelhandelsgeschäften wie Supermärkten oder Tankstellen errichtet werden ("terrestrischer Vertrieb"). Einnahmen wollte die Spielvermittlerin aus Gebühren der Spielteilnehmer und Provisionszahlungen der Lottogesellschaften erzielen.

Der Rechtsausschuss des DLTB forderte die Lottogesellschaften der Länder auf, Umsätze aus terrestrischen Vertriebsleistungen gewerblicher Spielvermittler zurückzuweisen. Diese Aufforderung befolgten die Lottogesellschaften der Länder, später wurde sie jedoch vom Bundeskartellamt mit Bestätigung durch den BGH für rechtswidrig erklärt und ihr Vollzug verboten (Beschl. v. 14.08.2008, Az. KVR 54/07 – Lottoblock I).

OLG durfte annehmen, dass Aufforderung des DLTB befolgt wurde

Die Spielvermittlerin verlangte daraufhin Ersatz entgangenen Gewinns für die Jahre 2006 bis 2008. Sie macht geltend, wegen des Kartellrechtsverstoßes der Lottogesellschaften habe sie das Vermittlungsgeschäft nicht wie geplant aufbauen und entwickeln können. 

Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hatte die Lottogesellschaft zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von rund 11,5 Mio. Euro zuzüglich Zinsen verurteilt. Der Kartellsenat des BGH hat die Düsseldorfer Entscheidung nun aber aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen.

Aufgrund der Entscheidung "Lottoblock I" stehe nach § 33 Abs. 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) für den Schadensersatzprozess bindend fest, dass die Lottogesellschaften den Beschluss des Rechtsausschusses des DLTB befolgt und durch ihr in dieser Weise abgestimmtes Verhalten gegen Kartellrecht verstoßen haben. Anders als vom OLG angenommen, ergebe sich daraus jedoch nicht, wie lange dieses kartellrechtswidrige Verhalten angedauert hat, so der BGH.

Das OLG durfte zwar annehmen, dass sich die Verhaltensabstimmung bis 2008 auf das Marktverhalten der Lottogesellschaften ausgewirkt hat. Jedenfalls bei einer einmaligen kartellrechtswidrigen Abstimmung, die auf zeitlich unbeschränkte Wettbewerbswirkungen angelegt ist, spreche eine Vermutung dafür, dass sie von den beteiligten Unternehmen dauerhaft beachtet wird und das Marktgeschehen andauernd beeinflusst, solange sich die maßgeblichen Umstände nicht wesentlich ändern. Diese Vermutung sei nicht, wie die Revision meint, mit der Zustellung der Verfügung des Bundeskartellamts entfallen. Vielmehr sei für die Widerlegung der Vermutung in einem solchen Fall erforderlich, dass sich ein an dem Kartellrechtsverstoß beteiligtes Unternehmen offen und eindeutig von der Abstimmung distanziert. Nach den Feststellungen des OLG ist dies nicht geschehen.

Kooperation wäre evtl auch ohne Aufforderung zurückgegangen oder entfallen

Damit stehe jedoch noch nicht fest, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Spielvermittlerin durch das abgestimmte Verhalten der Lottogesellschaften ein Schaden entstanden ist. Für diese Beurteilung gelte zwar die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO), wobei § 252 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dem Verletzten für die Darlegung und den Nachweis eines entgangenen Gewinns eine ergänzende Beweiserleichterung in Form einer widerlegbaren Vermutung gewähre. Das OLG habe aber bei der Prüfung der Schadenshöhe anhand dieses Maßstabs nicht alle erheblichen Umstände berücksichtigt. 

Den mangels anderweitiger Feststellungen sei es möglich, dass die Lottogesellschaften auch ohne die kartellrechtswidrige Absprache bei autonomer unternehmerischer Entscheidung nicht oder nur zögernd und in geringerem Umfang Vermittlungsverträge mit der Vermittlerin abgeschlossen und Provisionen an sie gezahlt hätten.

Zwar hätte die Kooperation mit der Vermittlerin ökonomische Anreize geboten. Allerdings könnten die Lottogesellschaften z.B. auch deshalb von ihr Abstand genommen haben, um das bisherige Vertriebssystem für Lotterien zu schützen. Auch die rechtliche (Planungs)unsicherheit könnte aus ihrer Sicht gegen eine andauernde Kooperation gesprochen haben, da das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zum damaligen Zeitpunkt eine Neuausrichtung des Glücksspielrechts am Ziel der Vermeidung von Suchtgefahren für verfassungsrechtlich geboten erklärt hatte.

Schließlich und davon unabhängig habe das OLG einen zwischen 2005 und 2008 bei den Lottogesellschaften eingetretenen Umsatzrückgang sowie die zeitweise in mehreren Bundesländern geltenden gesetzlichen Provisionsverbote bei gewerblicher Spielvermittlung bei der Schadensberechnung nicht ausreichend berücksichtigt.

Klägerfreundliche Linie könnte deutschen Gerichtsstandort stärken

Dr. Ulrich Soltész, Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel hält die Ausführungen zu der Bindungswirkung einer Bußgeldentscheidung für einen späteren Follow-on-Schadensersatzprozess tendenziell für klägerfreundlich. "Generell wird die in Deutschland bestehende Bindungswirkung dazu beitragen die künftige Attraktivität der deutschen Gerichte zu erhöhen", so der Kartellrechtler. "Dies erscheint auch vor dem Hintergrund des geplanten Brexit wichtig, denn bisher wurde eine Vielzahl solcher Klagen in London erhoben."

Nach einem Ausscheiden Großbritanniens werde es dort jedoch für Kläger kein vereinheitlichtes Zuständigkeits- und Anerkennungssystem nach der EuGVVO und auch keine Bindungswirkung vorangegangener Bußgeldentscheidungen mehr geben. Für potentielle Kläger werde somit der Anreiz, ein Forum in London zu wählen, deutlich verringert. Soltész hält es daher nicht für unwahrscheinlich, dass Kläger künftig nach Deutschland ausweichen.

acr/cvl/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BGH zum Nachweis eines Kartellschadens: . In: Legal Tribune Online, 13.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19972 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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