Wer nach dem Herbst 2015 einen VW kaufte, ist selbst schuld. Auch Vielfahrer können leer ausgehen und Deliktszinsen bekommt niemand. Softwareupdates ändern dagegen nichts am Schaden von VW-Käufern.
Der Bundesgerichtshof (BGH) klärt die noch ausstehenden zivilrechtlichen Fragen des Dieselskandals. Am Donnerstag entschied der für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat gleich über mehrere noch offene Fragen.
Zur Haftung von VW dem Grunde nach urteilte der Senat, dass VW-Käufer auch dann noch einen Anspruch auf Schadensersatz wegen der unzulässigen Abschalteinrichtungen in ihrem Pkw haben, wenn sie ein von VW angebotenes Software-Update aufgespielt haben (Urt. v. 30.07.2020, Az. VI ZR 367/19).
Positiv für VW fiel hingegen die Entscheidung des Senats zur Frage aus, ob auch Käufer, die ihren VW nach Herbst 2015 kauften, Schadensersatz geltend machen können, weil dieser mit einer Abschalteinrichtung versehen ist. Das geht nicht, so der Senat. Nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals, speziell der Ad-hoc-Mitteilung und der Presseerklärung vom 22. September 2015 hätten Käufer nicht mehr damit rechnen können, dass die Abgastechnik den Vorgaben Entspreche. Eine Täuschung und vorsätzliche sittenwidrige Schädigung von Käufern sei ab diesem Zeitpunkt nicht mehr feststellbar (urt. v. 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20).
Auch zur Höhe des Schadens von geprellten VW-Kunden gab es zwei Entscheidungen, die zugunsten von VW ausfielen. So stellte der Senat klar, dass die gezogenen Nutzungen, die VW-Käufer sich anrechnen lassen müssen, den Schadensersatzanspruch gegenüber dem Konzern übersteigen können. Auch sog. Deliktszinsen aus § 849 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ab Zahlung des Kaufpreises erhalten die Käufer von Pkw mit unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht (Urt. v. 30.07.2020, Az. VI ZR 354/19, VI ZR 397/19).
VW ist verantwortlich für seine sittenwidrige Strategie
Zwar haftet VW dem Grunde nach dafür, dass der Konzern seine Fahrzeuge mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausstattete, die dafür sorgten, dass die Fahrzeuge auf dem Prüfstand einen niedrigeren Stickoxidwert anzeigten als im Realbetrieb. Diese Haftung dem Grunde nach aus sittenwidriger Schädigung hatte der BGH bereits in einem Grundsatzurteil vom 25. Mai 2020 festgestellt.
Das Verhalten von VW war "mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren". Der Konzern handelte sittenwidrig, und das vorsätzlich, dem Vorstand des Autobauers zivilrechtlich zurechenbar. Und den Käufern sei auch ein Schaden entstanden, schon dadurch, dass sie den Vertrag über einen solchen, viel weniger umweltfreundlichen Pkw, der erheblich mehr Stickoxid ausstößt, nicht gewollt hätten, entschied der BGH deutlich.
Diese Wertung bestätigte der VI. Zivilsenat am Donnerstag noch einmal. Im Urteil zum Az. VI ZR 367/19 stellten Deutschlands oberste Zivilrichter klar, dass Kunden von VW, die ihren betroffenen Pkw zurückgeben und den Kaufpreis zurück haben möchten, nichts weiter darlegen müssen. Die unzulässige Abschalteinrichtung einzusetzen, das sei eine grundlegende strategische Frage, mit deren Hilfe VW die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm habe sicherstellen wollen, so der BGH. Wer konkret dafür auf Vorstandsebene verantwortlich war, ist nicht relevant.
Sittenwidrig: nur bis Herbst 2015
Diese sittenwidrige Strategie führt allerdings nicht zu Schadensersatzansprüchen aus VW-Käufen nach dem Herbst 2015. In diesen vom Konzern sog. Kauf-nach-Kenntnis-Fällen stellte VW sich auf den Standpunkt, nicht mehr für verbaute Abschalteinrichtungen in Autos zu haften, die nach September 2015 erworben wurden. Zu Recht, wie der BGH nun entschied.
VW war am 22. September 2015 mit einer Ad-hoc-Mitteilung an die Aktionäre und einer Presseerklärung an die Öffentlichkeit gegangen. Von da an war das Thema über Monate in den Medien sehr präsent, das Kraftfahrtbundesamt forderte VW dazu auf, die Vorschriften einzuhalten, in der Folge wurde das Software-Update programmiert. Volkswagen hatte damals auch eine Internetseite eingerichtet, auf der Autobesitzer überprüfen konnten, ob auch ihr Wagen einen Motor mit der illegalen Abgastechnik hat. Damit seien wesentliche Umstände, die vorher für eine Täuschung sprachen, bereits im Herbst 2015 entfallen, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters.
Schon aufgrund der Ad-hoc-Mitteilung hätten Käufer nicht mehr damit rechnen können, dass die Abgastechnik den Vorgaben entspreche. Dass VW erst unter Druck reagiert habe und zur Aufklärung des Skandals möglicherweise noch mehr hätte tun können, reiche für den gravierenden Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung nicht mehr aus. Nach Einschätzung des Autobauers sind rund 10.000 offene Verfahren von dieser Entscheidung betroffen.
Schaden I: Software-Update beseitigt Schaden nicht
Im selben Fall stellte der Senat klar, dass der Schaden eines Autokäufers auch dann noch besteht, wenn ein VW-Fahrer das von dem Konzern entwickelte Software-Update durchgeführt hat.
Diese Feststellung folgt konsequent aus der Annahme des BGH, dass der Schaden der getäuschten VW-Kunden darin besteht, dass sie von VW sittenwidrig dazu gebracht wurden, unter Verletzung ihres wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts einen Vertrag abzuschließen, den sie so nicht gewollt hatten. Dieser so definierte Schaden bei der Eingehung des Vertrags entfällt nicht dadurch, dass sich der Wert oder der Zustand des Autos nachträglich verändern, stellte der Senat fest und ergänzte, dass auch ein solcher Schaden unter den Schutzzweck des § 826 BGB fällt.
Schaden II: Keine Deliktszinsen
In zwei Fällen urteilten die Richter auch, dass VW seinen geprellten Kunden keine Deliktszinsen auf den von ihnen gezahlten Kaufpreis schuldet(VI ZR 354/19, VI ZR 397/19. Die findige Idee, auf die zahlreiche Verbraucheranwälte bundesweit setzten: Wer einen deliktischen Anspruch wegen Wegnahme einer Sache hat, kann gemäß § 849 BGB verlangen, dass der Verletzer auf den von ihm zu ersetzenden Betrag für die Sache Zinsen zahlt.
Zwar erfasst die Norm grundsätzlich jeden Sachverlust durch Delikt, also auch den Verlust von Geld, hier des Kaufpreises. Der Senat bestätigt auch, dass § 849 BGB auch dann anwendbar sein kann, wenn der Geschädigte das Geld willentlich weggegeben hat .
Aber der Käufer habe als Gegenleistung für den Kaufpreis ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten Der Zweck der Vorschrift, mit einem pauschalierten Mindestbetrag auszugleichen, dass man eine entzogene oder beschädigte Sache nicht nutzen konnte, sei damit nicht einschlägig. Schon in der mündlichen Verhandlung hatte der Senatsvorsitzende Stephan Seiters deutlich gemacht, anderenfalls entstünde eine Überkompensation.
Schaden III: Gefahrene Kilometer können Schadensersatz übersteigen
Käufer älterer Autos könnten sogar komplett leer ausgehen. Es kann passieren, dass vom zu erstattenden Kaufpreis nach Anrechnung der zurückgelegten Kilometer nichts mehr übrig bleibt, bestätigte der BGH. So geht der Käufer eines gebrauchten VW Passat leer aus, der inzwischen rund 255.000 Kilometer auf dem Tacho hat. Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig als Berufungsinstanz hatte geschätzt, dass ein durchschnittlicher Passat nur 250. 000 Kilometer schafft. Damit sei die Laufleistung ausgeschöpft.
Der BGH hat daran nichts auszusetzen (Az. VI ZR 354/19). Schon mit Urteil vom 25. Mai 2020 hatten die Richter klargestellt, dass die Käufer sich die durch den Gebrauch des Fahrzeugs gezogenen Nutzungsvorteile, also die gefahrenen Kilometer, anrechnen lassen müssen. Bei vielen gefahrenen Kilometern bleibt dann vom ursprünglich gezahlten Kaufpreis nichts mehr übrig, bestätigte der BGH jetzt.
Die Annahme des OLG, das Fahrzeug habe zum Zeitpunkt des Kaufs eine Gesamtlaufleistungserwartung von 250.000 Kilometern gehabt, hatte der Passatfahrer mit seiner Revision nicht angegriffen, der BGH konnte dazu also nicht sagen. Auch die Berechnung des Werts der Nutzungsvorteile durch das OLG billigte der BGH: Das OLG hatte den Bruttokaufpreis mit der gefahrenen Strecke seit dem Kauf multipliziert und durch die erwartete Restlaufleistung zum Erwerbszeitpunkt geteilt.
VW: Noch ca. 60.000 Verfahren offen
Nach Auskunft von Volkswagen gibt es nur wenige vergleichbare Fälle, Käufer älterer Autos hätten selten geklagt. Der Konzern teilte nach den Urteilen mit, man sei weiterhin bestrebt, die rund 50.000 mit dem Grundsatzurteil vom Mai dieses Jahres vergleichbaren Verfahren im Einvernehmen mit den Klägern zeitnah zu beenden.
Insgesamt sind nach Angaben des Autobauers noch ca. 60.000 Verfahren anhängig. Mit rund 240.000 Käufern hat VW sich nach eigenen Angaben im Rahmen des Vergleichs nach der Musterfeststellungsklage schon geeinigt, dafür seien insgesamt rund 750 Millionen Euro an die Kunden ausgezahlt worden. Nur noch wenige der Fälle, die sich der Musterfeststellungsklage angeschlossen und das Vergleichsangebot des Konzerns angenommen hatten, seien noch in der Prüfung.
Mit Materialien von dpa
Pia Lorenz, Vier Entscheidungen zum Dieselskandal: . In: Legal Tribune Online, 30.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42360 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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