Das heimliche Weglassen eines Kondoms erfüllt den Straftatbestand des sexuellen Übergriffs, unter Umständen sogar den der Vergewaltigung. In einem Revisionsbeschluss äußerte sich der BGH nun erstmals zum "Stealthing".
Auch bei einvernehmlichem Sex begeht derjenige eine Straftat, der das Kondom gegen den Willen des Partners heimlich weglässt oder abzieht. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem aktuellen Beschluss (Az.: 3 StR 372/22) ausgeführt und sich damit erstmals ausführlich zum Phänomen des sogenannten Stealthing (aus dem Englischen von "stealth" für Heimlichkeit) geäußert. Dabei täuschen Personen ihrer Sexualpartnerin oder ihrem Sexualpartner nur vor, ein Kondom zu nutzen, lassen es in Wirklichkeit aber weg.
Im konkreten Fall hatte ein Mann in seinem Schlafzimmer ein Kondom aus der Verpackung geholt und so getan, als würde er es benutzen. Die Frau drehte sich um und sah deswegen nicht, dass er es doch nicht übergestreift hatte. Ihm kam es nach den Feststellungen des erstinstanzlich zuständigen Landgerichts (LG) Düsseldorf auch darauf an, dass die später Geschädigte davon ausging, er werde es beim Geschlechtsverkehr überziehen. Ungeschützter Geschlechtsverkehr wäre für sie nicht in Frage gekommen, gab das Opfer später glaubhaft zu Protokoll, so das LG.
Verurteilung wegen Vergewaltigung möglich
Das LG habe dies zu Recht als sexuellen Übergriff (§ 177 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB)) gewertet, befand der BGH nun in seinem Beschluss. Stimme eine Person Geschlechtsverkehr ersichtlich nur unter der Voraussetzung zu, dass dabei ein Kondom genutzt wird, stünden ohne Präservativ vorgenommene sexuelle Handlungen ihrem erkennbaren Willen entgegen. Es spiele dabei auch keine Rolle, dass die Frau unmittelbar davor ungeschützten Oralverkehr mit dem Mann hatte. Es wäre sogar eine Verurteilung wegen Vergewaltigung in Frage gekommen, erläuterte ein BGH-Sprecher am Mittwoch gegenüber der dpa.
Dass bei einer Verwirklichung eines sexuellen Übergriffes gleichzeitig auch eine Verwirklichung des Regelbeispiels der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB) in Betracht komme, erwähnte der BGH lediglich am Rande des Beschlusses. Eine tatsächliche Erörterung erfolgte im Rahmen der Revision nicht, da der Angeklagte dadurch, dass das LG eine Vergewaltigung zumindest bisher nicht angenommen hat, nicht beschwert gewesen ist.
"Der Gebrauch eines Präservativs betrifft die Art und Weise des Sexualvollzugs und führt zu einer anderen qualitativen Bewertung", heißt es in dem Beschluss. Hierfür spreche insbesondere die generelle Eignung, eine unerwünschte Schwangerschaft oder die Übertragung von Krankheiten zu verhindern. Dass hierdurch die Beurteilung eines sexuellen Kontakts mitgeprägt werde, zeige sich etwa daran, dass bei Sexualdelikten der Vollzug des Geschlechtsverkehrs ohne Verwendung eines Kondoms bereits nach früherer Rechtslage straferschwerend berücksichtigt werden konnte, so der BGH.
Neue Verhandlung wegen Verfahrensfehlers
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Landgerichts trotzdem auf, aber wegen eines Formfehlers an anderer Stelle: Das Landgericht versäumte es, dem Mann einen notwendigen rechtlichen Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) zu erteilen, was einen reversiblen Verfahrensfehler darstellt. Die in der Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift enthielt nicht die festgestellten Taten und Strafgesetze wegen welcher der Angeklagte nach den Urteilsgründen verurteilt wurde. Auf diese Veränderung hätte das LG hinweisen müssen. Das LG hatte den Mann, der nach Gerichtsangaben intensiv Dating-Portale nutzt, wegen mehrerer Sexualdelikte zu drei Jahren Haft verurteilt. Nun muss der Fall in Düsseldorf neu verhandelt werden.
ku/LTO-Redaktion
Mit Material der dpa
BGH äußert sich erstmals zum "Stealthing": . In: Legal Tribune Online, 01.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50952 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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