Erst teilte die Berliner Polizei mit, gegen eine den Hamas-Terror bejubelnde Versammlung nicht wegen Billigung von Straftaten zu ermitteln. Wegen einer Parole sehen die Ermittler nun doch einen Anfangsverdacht für strafbare Hetze.
Wer wenige Stunden nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel jubelt und israelfeindliche Parolen skandiert, kann sich deshalb strafbar machen. Auf diesen Standpunkt stellten sich am Freitag die Berliner Strafverfolgungsbehörden, die wegen einer Spontanversammlung auf der Sonnenallee in Neukölln am vergangenen Samstag Ermittlungen wegen Billigung von Straftaten (§ 140 Strafgesetzbuch, StGB) und Volksverhetzung (§ 130 StGB) einleiten. Noch am Donnerstag hatte die Polizei gegenüber LTO mitgeteilt, keinen Anfangsverdacht für solche Äußerungsdelikte zu sehen, sondern "nur" wegen versammlungstypischer Gewalt gegen Polizeibeamte zu ermitteln.
Die Parole "From the River to the Sea, Palestine will be free" soll nun im Kontext der Versammlung eine Billigung des Hamas-Terrors und/oder eine Volksverhetzung zulasten von Juden und Israelis in Deutschland darstellen. Dieser häufig auf Pro-Palästina-Demos zu vernehmende Satz drückt den Wunsch nach einem freien Staat Palästina auf dem Gebiet vom Jordan bis zum Mittelmeer aus – also dort, wo sich jetzt der Staat Israel befindet. Diese Aussage sei nach Mitteilung einer Polizei-Sprecherin gegenüber LTO "nicht per se" strafbar und wurde in der Vergangenheit auch nicht immer verfolgt. Bei isolierter Betrachtung der Aussage sei nicht klar, wie die Hoffnung "Palestine will be free" sich realisieren soll. Aus der Aussage allein ergebe sich nicht, ob Palästina auf diplomatischem Weg oder durch Gewalt "befreit" werden solle.
Liegen neue tatsächliche Anhaltspunkte vor?
In Bezug auf die Neuköllner Demonstration vom Samstag bewertet die Polizei, die sich in ständiger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft (StA) befindet, das Geschehen jetzt anders. Sowohl der Zeitpunkt der Versammlung, am Tag des Terrorangriffs, als auch die sonstigen Handlungen der Demonstranten – jubeln, Palästina-Flaggen und gewaltverherrlichende Plakate schwenken, weitere Parolen – bildeten den nötigen Kontext. Es sei klar, wie das gemeint ist, so die Polizeisprecherin, nämlich als Forderung einer gewaltsamen "Befreiung".
Warum die Ermittlungsbehörden nun ein Ermittlungsverfahren einleiten, nachdem sie am Vortag noch anderer Auffassung gewesen waren, erschließt sich von außen nicht. Die Sprecherin verweist darauf, dass sie auch in ihrer Mitteilung vom Donnerstag die Möglichkeit betont habe, Ermittlungen wegen anderer Delikte (außer den versammlungstypischen) aufzunehmen, sobald sich dafür neue Anhaltspunkte ergäben. Dass der Polizei erst jetzt bekannt geworden sein soll, dass die Hamas-Sympathisanten an der Ecke Reuterstraße/Sonnenallee am Samstag u.a. ein freies Palästina gefordert hatten, überrascht allerdings.
Die StA wollte die rechtliche Einschätzung auf LTO-Anfrage am Freitag nicht bestätigen. Ebenso ließ sie unbeantwortet, ob es eine Weisung von der Berliner Senatsverwaltung oder Generalstaatsanwaltschaft gegeben hat. Eine Sprecherin teilte lediglich mit, man befinde sich in permanenter Abstimmung mit der Polizei. Man gebe dieser abstrakte Rechtsauskünfte, Einzelfälle habe die StA dagegen noch nicht eine geprüft. Das erfolge erst nach Übersendung der Ermittlungsakten von der Polizei an die StA. Die Polizei selbst ermittelt derzeit noch gegen Unbekannt.
Billigung von Hamas-Terror und Volksverhetzung liegen nahe
Mit Blick auf die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 130 und 140 StGB kommt die Mitteilung der Polizei vom Freitag nicht überraschend. LTO hatte bereits am Donnerstag berichtet, dass eine Strafbarkeit durchaus naheliegt: Unbestreitbar ist, dass die Attacken der Hamas, über die täglich mehr bekannt wird, schwere Straftaten im Sinne des § 140 StGB darstellen, deren Billigung strafbar ist: Neben grausamen Morden und Geiselnahmen gelten auch Vergewaltigungen als gesichert. Dass die Kombination aus israelfeindlichen Parolen, Jubeln und Palästina-Flaggen als Billigung der Hamas-Gräueltaten angesehen werden können, liegt mindestens nahe. Und da all das öffentlich und lautstark geschah, dürfte es auch geeignet sein, das gesellschaftliche Klima zu vergiften, mithin "den öffentlichen Frieden zu stören", wie es in §§ 140 und 130 StGB heißt.
Dass auch die übrigen Voraussetzungen der Volksverhetzung vorliegen, ist ebenfalls möglich. In Betracht kommen mehrere Varianten: das "Aufstacheln zum Hass", das "Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen" (jeweils § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder das "Beschimpfen" oder "böswillige Verächtlichmachen" (beides dort Nr. 2). Alle Varianten müssen jeweils auf "gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung" bezogen sein. In Betracht kommen insofern Juden, Israelis sowie Personen, die von anderen als solche angesehen ("gelesen") werden, nach der Rechtsprechung allerdings nur solche in Deutschland.* Denn das Delikt schützt nur den inländischen öffentlichen Frieden.
Wie die Ermittlungsverfahren ausgehen, bleibt abzuwarten. Dass die Ermittler einen Anfangsverdacht bejahen, heißt nicht, dass die StA wegen der Parole später Anklage erheben wird. Auch müssen die betreffenden Personen ausfindig gemacht werden. Dazu stehen der Polizei insbesondere Zeugenaussagen und Videoaufnahmen zur Verfügung.
* Zunächst hieß es hier, es sei unerheblich, ob die diffamierte Gruppe im Inland oder Ausland lebt; nur die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, beziehe sich auf das Inland. Doch nach der Rechtsprechung sind nur Juden oder Israelis in Deutschland ein hinreichend bestimmter "Teil der Bevölkerung" im Sinne des § 130 StGB. Korrigiert am 16.10.2023, 23:32 (Red.)
"Palestine will be free": . In: Legal Tribune Online, 13.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52921 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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