Für viele ist es der Inbegriff des Überwachungsstaates: die Handyspionage. Rot-Grün in Berlin will nun den Bürgern mitteilen, wessen Handydaten im Rahmen einer Funkzellenabfrage von den Sicherheitsbehörden erhoben wurden.
In Berlin sollen Bürger künftig besser informiert werden, wenn ihre Handydaten in Ermittlungsverfahren zufällig erfasst wurden. Bundesweit gebe es ein solches Transparenzsystem nicht, sagte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) am Dienstag bei der Vorstellung. Berlin sage als erstes Bundesland zu, dass diejenigen, die wollen, informiert würden. "Wir betreten da bürgerrechtliches Neuland", so der Grünen-Politiker. 2017 wurden in Berlin demnach mehr als 59 Millionen Datensätze erhoben, davon 15,2 Millionen Telefonate.
Bürger können sich ab sofort anonym in dem neuen sogenannten Transparenz-System über fts.berlin.de mit ihrer Handynummer anmelden. Sie erhalten dann künftig per SMS nach Abschluss eines Ermittlungsverfahrens Bescheid, wenn die eigene Mobilfunknummer in einer Abfrage erfasst wurde. Danach sollen die Daten gelöscht werden. SPD und Grüne in Berlin hatten sich seit Jahren an der Funkzellenabfrage abgearbeitet, der Datenschutzbeauftragte der Hauptstadt kam 2012 zudem zu dem Schluss, dass die Maßnahme deutlich zu oft eingesetzt werde.
Bei der Funkzellenabfrage fordern Ermittler von den Telekommunikationsanbietern alle Handydaten an, die zu einem bestimmten Zeitraum im Bereich einer bestimmten Funkzelle registriert wurden, um Straftäter zu identifizieren. Das System ist bislang umstritten, weil dabei auch Mobiltelefone Unbeteiligter ohne deren Wissen erfasst werden.
Behrendt betonte, bei Demonstrationen gebe es keine Abfrage von Handydaten. "Wir sind ja hier nicht in Sachsen." Gerechnet wird mit einer fünfstelligen Zahl von Anmeldungen. Im Probebetrieb hätten sich
800 Tester angemeldet, hieß es.
Entwickler: "Wir wollen die Menschen nicht beunruhigen"
Berliner Strafverfolger haben im Vorjahr 474 sogenannte Funkzellen abgefragt. Die Abfrage wurde laut Justiz in 426 Ermittlungsverfahren angewandt. Die Methode kam bei Ermittlungen zu Mord, Totschlag, Raubtaten oder schwerem Diebstahl zum Einsatz.
Die Funkzellenabfrage ist in § 100g* der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Sie muss demnach von der Staatsanwaltschaft beantragt und von einem Richter genehmigt werden. Laut Justiz gibt es in Berlin einige Tausend Funkzellen, die für die Staatsanwaltschaft in Frage kommen.
Laut Richter Ulf Buermeyer, der das System maßgeblich entwickelt hat, ist mit Benachrichtigungen frühestens Mitte nächsten Jahres zu rechnen. Bislang sei nicht vorgesehen, dass über die konkreten Ermittlungen informiert wird, es solle nur ein Aktenzeichen angegeben werden. "Wir wollen die Menschen nicht beunruhigen" - etwa, wenn ihre Handydaten in Mordermittlungen erfasst wurden. Der Bürger soll aber erfahren, wann und wo sein Gerät erfasst wurde.
Die oppositionelle Berliner FDP-Fraktion monierte, statt aufwendiger technischer Verfahren müsste die menschliche Seite der Ermittlungen gestärkt werden. Es würden mehr Polizisten gebraucht, die Verdächtige observieren, statt die Bewegungsdaten Millionen Unverdächtiger systematisch zu erfassen, so FPD-Politiker Marcel Luthe.
dpa/mam/LTO-Redaktion
*Korrektur: Früher war hier irrtümlich die Rede von § 109g StPO.
Auskunft über Funkzellenabfrage: . In: Legal Tribune Online, 13.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32059 (abgerufen am: 19.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag