Anfang April sorgte eine Befragung unter medizinisch-psychologischen Gerichtsgutachtern für Aufsehen. Etwa ein Viertel der Befragten gab an, vom Gericht eine Tendenz signalisiert zu bekommen. Eine Befragung unter Teilnehmern einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung kam nun zu einem ganz anderem Ergebnis.
Während in der Befragung von Benedikt Jordan und Ursula Gresser 28 Prozent der psychiatrisch tätigen Gutachter angegeben hatten, es sei ihnen zumindest "in Einzelfällen" bei einem Gutachtenauftrag schon einmal eine Tendenz vorgeben worden, hätten von den 52 befragten Mitgliedern der in Aschaffenburg stattgefundenen Tagung lediglich zwei Mediziner angegeben, in sehr seltenen Einzelfällen derartige Erfahrungen gemacht zu haben. Eine konkrete Beeinflussung der Gutachtenergebnisse habe allerdings nicht stattgefunden.
Lediglich einer der Befragten habe berichtet, er sei vor einigen Jahren einmal persönlich vom Richter eines Oberlandesgerichts – allerdings erst nach Erstattung seines Gutachtens – "attackiert" worden, als das Ergebnis nicht der Einschätzung des Richters entsprach.
Eine mögliche Erklärung für die abweichenden Ergebnisse der beiden Befragungen sieht die Deutschen Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung in einem möglichen Missverständnis: Bei ihrer Befragung habe sie ausdrücklich darauf verwiesen, dass damit nicht die "Leitung der Tätigkeit des Sachverständigen" durch das Gericht gemeint sei, wie sie durch die Zivilprozessordnung (§ 404a ZPO) gesetzlich vorgegeben ist. Es sei nicht auszuschließen, dass Jordan und Gresser ein schlichtes Missverständnis der Befragten zu einer "Krise" stilisierten hätten.
mbr/LTO-Redaktion
Tendenz von Gerichtsgutachten: . In: Legal Tribune Online, 09.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12509 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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