Die Stadt München wollte verhindern, dass ein Pro-Palästina-Camp vor der LMU stattfindet. Sie verlegte das Camp und verbot Übernachtungen. Doch der bayerische VGH sieht das anders: Die Aktivisten dürfen bleiben – und auch übernachten.
Propalästinensische Aktivisten haben am Montagabend ein Camp gegenüber dem Haupteingang der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) errichtet. Die Zelte sollten planmäßig bis Donnerstag stehen bleiben – und das tun sie nun auch. Denn der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) bestätigte am Dienstagabend: Die Aktivisten dürfen bleiben und ihre Demo an Ort und Stelle wie geplant durchführen (Beschl. v. 14.05.2024, Az. 10 CS 24.798). Ob die Zelte im Protestcamp abgebaut werden müssen, war bis zu dieser Entscheidung am Dienstagabend noch unklar.
Die Veranstalter hatten am Sonntag bei der Stadt München die Versammlung mit dem Thema "Die Invasion auf Rafah, die Verantwortung der Universitäten in der Militärforschung & das bevorstehende Verbot der Zivilklausel an den bayerischen Universitäten (Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern)" mit 100 erwarteten Teilnehmern angezeigt. Als Kundgebungsmittel wurden Zelte angegeben, "um der Versammlung den Charakter eines Flüchtlingcamps zu verleihen (in Rafah sind unerträgliche Hygiene-Bedingungen, eine dramatische Situation, vertriebene Menschen und auf dieses Leid wollen wir aufmerksam machen)". Die Versammlung sollte als Dauermahnwache ausgestaltet sein und drei Tage dauern.
Stadt München verlegt das Camp und verbietet Übernachtungen
Doch die Stadt München machte diesem Plan einen Strich durch die Rechnung und sprach diverse versammlungsrechtliche Beschränkungen aus. Die Münchner Ordnungsbehörde wollte das Protestcamp zum einen verlegen: Weg von der LMU, stattdessen auf einen Ausweichplatz circa einen Kilometer entfernt. Die Anzahl der Zelte beschränkte sie auf fünf und untersagte abschließend noch, in den Zelten zu nächtigen.
Nach sorgfältiger Abwägung, auch angesichts "des hohen Gutes der Versammlungsfreiheit", hätten die Behörden sich dennoch für eine Verlegung entschieden. Grund sei die Dauer der Veranstaltung in unmittelbarer Nähe zu den Räumlichkeiten der LMU. Es seien "nachhaltige und massive Störungen des wissenschaftlichen Betriebs zu befürchten", teilte die Stadt mit.
Die Verlegung und etwaigen Beschränkungen wollten die Veranstalter aber nicht akzeptieren und hatten am Montagabend vor dem Verwaltungsgericht (VG) München gegen den Bescheid des Kreisverwaltungsreferates (KVR) einen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eingereicht – mit Erfolg: Das VG München kassierte noch am Montagabend in seinem Eilbeschluss den entsprechenden Bescheid der Stadt (Beschl. v. 13.05.2024, Az. M 10 S 2).
Nach vorläufiger Bewertung im Eilverfahren habe die Stadt ihre Gefahrenprognose nicht auf hinreichend konkrete und nachvollziehbare Umstände gestützt. Der Charakter als Dauerversammlung schließe das Nächtigen mit ein und habe einen ausreichenden Bezug zum Thema der Versammlung, das auf das Leben der Menschen in Gaza in Zelten aufmerksam machen wolle.
BayVGH: Konkrete, belegbare Gefahrenprognose fehlt
Doch damit war die juristische Auseinandersetzung nicht beendet. Denn noch am Montagabend legte die Stadt München Beschwerde beim Bayerischen VGH ein (§ 146 VwGO).
Man befürchte die Besetzung von Unterrichtsräumen, was den Unterrichtsbetrieb wesentlich beeinträchtigen werde. Auch die geschützten Rechtspositionen der Mitarbeiter und Studenten aus Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz (GG) und Art. 2 GG würden übermäßig beeinträchtigt. Bei der Dauerversammlung mit Redebeiträgen mit Megafon, Sprechchören und Musikbeiträgen würden die Nutzer der Bibliothek in Konzentration und stillem Arbeiten nachhaltig gestört, begründete die Stadt ihre Beschwerde.
Der VGH stellte sich aber auf die Seite der Aktivisten, bestätigte die Entscheidung des VG und lehnte die Beschwerde der Stadt ab (Beschl. v. 14.05.2024, Az. 10 CS 24.798).
Die Versammlungsbeschränkungen – Verlegung, Begrenzung der Zelte, Verbot von Übernachtungen – seien rechtswidrig, so das Gericht. Die Stadt habe die nach Art. 15 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG) erforderliche Gefahrenprognose nicht auf ausreichend konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte gestützt, führt der BayVGH in seinem Beschluss aus, der LTO vorliegt.
Es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern von der angezeigten Versammlung Gefahren für die öffentliche Sicherung und Ordnung ausgehen sollen. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG dürften beim Erlass solcher versammlungsrechtlicher Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Insbesondere bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichten für sich allein nicht aus.
Die Versammlung sei zudem nicht vergleichbar mit solchen in anderen Städten, insbesondere mit der Versammlung an der Freien Universität Berlin Anfang Mai, bei der es zu manchen Zwischenfallen kam. Anders als in Berlin finde die Versammlung in München nicht im Innenhof der Universität, sondern außerhalb des Universitätsgebäudes und von dieser durch eine breite Straße getrennt statt.
Auch Zelte unterfallen dem Schutz der Versammlungsfreiheit
Welche konkrete Gefahr von mehr als fünf Zelten bei der angezeigten Versammlung ausgehen soll, legte die Stadt nach Auffassung des VGH ebenfalls nicht dar. Es sei nicht erkennbar, dass auf der Versammlungsfläche, die nördlich und südlich des Brunnens jeweils eine Grünfläche von etwa 500 Quadratmetern umfasse, lediglich Platz für fünf Zelte sein soll. Auch bleibe unklar, welche konkrete Gefahr vom Übernachten in den Zelten ausgehen soll.
Weiterhin weist das Gericht darauf hin, dass auch die für die Durchführung einer Dauerversammlung erforderliche Infrastruktur unter dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG stehe. Soweit die Zelte Kundgabemittel seien, gehöre es zunächst zum Selbstbestimmungsrecht der Versammlungsleiter, zu entscheiden, wie viele Zelte verwendet werden sollen. Es liege auf der Hand, dass der Bezug zu einer großen Zeltstadt (in Rafah) umso deutlicher wird, je mehr Zelte aufgestellt werden, in denen auch Personen übernachten. Soweit die Zelte daneben auch zur Infrastruktur der Versammlung gehören, sei es plausibel, dass für eine Dauerversammlung der angezeigten Größe von drei Tagen und zwei Nächten Dauer mehr als fünf Zelte erforderlich sein können.
Und so saßen – durch den VGH bestätigt – am Dienstag rund 30 Teilnehmer des Protests in Zelten und auf Picknickdecken vor der Uni. Stoffbanner mit Aufschriften wie "Freiheit für alle unterdrückten Völker" oder "Ceasefire now" (übersetzt: "Waffenstillstand jetzt") machten die Anliegen deutlich.
Kontroverse Reaktionen auf das Protestcamp
Kritik an der Aktion übte Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle (CSU). Hier werde einseitig Israel Schuld zugewiesen, das sich nach dem Terroranschlag der Hamas lediglich verteidige. Zudem werde das Existenzrecht des Staats Israel infrage gestellt, so Spaenle. Der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller, hatte von einem "fatalen Zeichen für die Stadt München" gesprochen. Vor 81 Jahren habe die "Weiße Rose" mit den Geschwistern Hans und Sophie Scholl an der Universität ihren mutigen Kampf gegen den Nationalsozialismus geführt. Ausgerechnet hier werde nun drei Tage lang Antisemitismus praktiziert.
Die LMU selbst hatte sich bereits vor mehreren Tagen "klar gegen jede Form von Antisemitismus wie auch jegliche Diskriminierung" gestellt, sagte eine Sprecherin. Sie fügte hinzu, das Camp befinde sich unmittelbar vor dem Juristischen Seminargebäude mit einer Bibliothek. Da die Bibliothek über keine technische Lüftung verfüge, müsse diese über ein regelmäßiges Öffnen der Fenster gelüftet werden. "Die Präsenz eines Camps mit Demonstrierenden vor den Fenstern erschwert sicherlich ein konzentriertes Arbeiten der Studierenden und der Mitarbeitenden der LMU."
Das müssen die Bibliotheksnutzer nun aber bis Donnerstag wohl hinnehmen, denn der Beschluss des VGH ist unanfechtbar.
Mit Materialien der dpa
BayVGH sieht keine konkrete Gefahr: . In: Legal Tribune Online, 15.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54549 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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