"Einfach drüber fahren. Selbst schuld, wenn man sich auf die Straße klebt". Dieser Online-Kommentar zieht keine Verurteilung nach sich, so das BayObLG – aber nur, weil es an die Feststellungen des LG gebunden war.
"Klimakleber" beschäftigen die Gerichte bereits seit einiger Zeit. Es geht vor allem um Fragen wie: Machen sich Klimaaktivisten nach § 240 StGB (Strafgesetzbuch) strafbar, wenn sie Blockaden auf Straßen errichten? Hier geht es insbesondere um den Gewaltbegriff, die Verwerflichkeit, die Berücksichtigung von Fernzielen und die Frage, ob Rechtfertigungsgründe eingreifen. Wie sieht es aus mit einer Strafbarkeit nach § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) oder § 315b (Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr) StGB? Ist die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung? Und geraten auch Personen ins Visier der Strafverfolgung, die sich gewaltsam gegen die Aktivisten wehren? Oder liegt hier Notwehr vor?
Jetzt musste sich das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) aber mit einem neuen Aspekt rund um die "Klimakleber"-Problematik beschäftigen: Wie macht man sich strafbar, wenn man im Internet gegen die Aktivisten Hetze betreibt und kritische Kommentare verfasst? Im Februar 2022 war nämlich auf Youtube eine Reportage mit dem Titel "Verkehrschaos am Frankenschnellweg: Aktivisten kleben sich auf Straße" erschienen. Hierunter verfasste und veröffentlichte ein Mann aus Bayern den Kommentar "Einfach drüber fahren selbst schuld wenn man so blöd is und sich auf die Straße klebt" (Schreibfehler übernommen).
Das BayObLG entschied dazu am Montag: Der Post ist straflos. Es bestätigte damit den Freispruch der Vorinstanz (Urt. v. 06.05.2024, Az. 203 StRR 111/24) – nicht jedoch ohne den eigenen Unmut über diese Entscheidung zu äußern.
"Über Klimakleber einfach drüber fahren" – fürs AG strafbar, fürs LG nicht
Das Amtsgericht (AG) Weißenburg hatte den Angeklagten wegen dieses Vorfalls noch wegen der Billigung von Straftaten zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt (Urt. v. 24.05.2023). Nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB macht sich nämlich unter anderem strafbar, wer eine bestimmte Katalogtat öffentlich oder in einer Weise billigt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Das AG sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte durch den Kommentar zum Ausdruck bringen wollte, dass er erhebliche Verletzungen oder gar die Tötung der Aktivisten durch Dritte guthieße. Sein Kommentar sei auch geeignet gewesen, bei einer nicht unerheblichen Personenanzahl der Bevölkerung eine Erschütterung des Vertrauens in die öffentliche Rechtssicherheit hervorzurufen, was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen habe. Sowohl der Angeklagte als auch die Generalstaatsanwaltschaft München legten gegen das Urteil des AG Berufung ein.
Und siehe da: Die Berufungsinstanz schätzte den Vorfall anders ein. Dort hatte der Mann vor Gericht erklärt, dass er den Kommentar lediglich als Beitrag zur öffentlichen Debatte gemeint habe. Die werde teils sehr heftig geführt, sagte er. Seine überspitzt formulierte Unmutsäußerung habe er aber keineswegs ernst gemeint. Er sei zudem davon ausgegangen, dass die Aussage auch nicht wörtlich genommen werde.
Diese Angaben hielt das Landgericht (LG) für glaubhaft. Es sah in der Äußerung auf Youtube mangels Ernstlichkeit objektiv keine Eignung zur Störung. Jedenfalls aber sei in subjektiver Hinsicht kein strafbares Handeln gegeben. Der Angeklagte habe eine Störung des öffentlichen Friedens nicht billigend in Kauf genommen, sodass es am Vorsatz fehle. Das LG Ansbach sprach den Angeklagten deshalb mit Urteil vom 14. November 2023 frei.
Das wollte die Generalstaatsanwaltschaft in München aber nicht hinnehmen und legte Revision ein.
BayObLG bestätigt den Freispruch zähneknirschend
Die Revision hat das BayObLG nun am Montag als unbegründet zurückgewiesen und damit den Freispruch bestätigt (Urt. v. 06.05.2024, Az. 203 StRR 111/24).
Der Vorsitzende führte in der mündlichen Urteilsbegründung aus: Bei Gewaltaufrufen oder Äußerungen, die zu Gewalt führen könnten, werde die Grenze der verfassungsrechtlich geschützten freien Meinungsäußerung überschritten. Solche Äußerungen könnten daher je nach den konkreten Umständen im Einzelfall nicht nur den Straftatbestand des Billigens von Straftaten (§ 140 StGB), sondern auch den Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfüllen.
Das Revisionsgericht als Rechtskontrollinstanz sei aber an die Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden, so das Gericht. Insbesondere bestehe eine Bindung an die vom LG als glaubhaft angesehene Erklärung des Angeklagten, er sei nicht davon ausgegangen, dass sein Kommentar als Aufruf zu tatsächlichen Angriffen auf Demonstrationsteilnehmer verstanden werde. Die Begründung im angefochtenen Berufungsurteil sei hinsichtlich dieser Feststellungen zwar sehr knapp, aber noch ausreichend, so das BayObLG.
Der Senat fügte aber abschließend hinzu: Es handele sich um einen Grenzfall. In ähnlich gelagerten Fällen sei eine Verurteilung durchaus denkbar.
"Hängt die Grünen" war noch strafbar
Im Oktober vergangenen Jahres hatte das BayObLG noch über einen Fall zu entscheiden, in dem die rechtsextreme Partei "Der III. Weg" im Bundestagswahlkampf mit dem Slogan "Hängt die Grünen" geworben hatte. In diesem Fall entschied das Gericht: Der Parteivorsitzende hat sich wegen Volksverhetzung gem. § 130 StGB und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten gem. § 111 StGB strafbar gemacht. Die Billigung von Straftaten nach § 140 Nr. 2 StGB sei zwar auch verwirklicht, trete aber hinter § 111 StGB zurück.
Das BayObLG betonte damals, dass die Tat auch nicht durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt sei, da das Grundrecht in diesem Fall seine Schranken finde. Im Hinblick auf den überragenden Stellenwert des Schutzes menschlichen Lebens ergebe die Abwägung eindeutig, dass im Falle einer Aufforderung zur Tötung von Menschen die Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit des Angeklagten zurücktrete, begründete der Strafsenat.
Auf genau diese Entscheidung verwies der Vorsitzende auch in der mündlichen Urteilsbegründung im aktuellen Fall um den Satz "Einfach drüber fahren". Warum entschied dasselbe Gericht nun, dass der Kommentar gegen die "Klimakleber" straflos ist, wo es doch vor gar nicht allzu langer Zeit den Slogan gegen die Grünen für strafbar hielt?
Auf Nachfrage von LTO führte die Pressesprecherin des BayObLG aus, diese Parallele habe der Senat insbesondere gezogen, um zu verdeutlichen, dass bei Äußerungen, die zu Gewalt führen können, grundsätzlich sehr wohl eine Strafbarkeit nach § 140 StGB und auch wegen Volksverhetzung nach § 130 StGB in Betracht komme. Das Problem im vorliegenden Fall sei aber tatsächlich gewesen, dass der Senat insbesondere hinsichtlich der subjektiven Tatseite an die Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden war. Anhand der zwar sehr knappen, aber gerade noch ausreichenden Begründung des LG zum Vorsatz des Angeklagten, habe das Gericht in der Vorinstanz rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Mann davon ausging, keiner werde diesen Satz ernst nehmen – und mehr darf das Revisionsgericht auch nicht prüfen.
Insbesondere darf es die Zeugenaussage nicht selbst beurteilen und beispielsweise entscheiden, es halte die Aussage abweichend vom Berufungsgericht nicht für überzeugend. Das Revisionsgericht führt nämlich eine reine Rechtskontrolle durch, die im vorliegenden Fall – gemeinsam mit den dürftigen Feststellungen der Vorinstanz – den Weg für eine andere Entscheidung offenbar versperrt hat.
Dem Senat sei aber wichtig gewesen, in der Urteilsbegründung auf dessen Bindung an die Feststellungen der Vorinstanz hinzuweisen und klarzustellen, dass hier zwar nun ein Freispruch erfolgt, aber grundsätzlich bei einem solchen Post ein billigendes Inkaufnehmen mit guten Argumenten angenommen werden kann, so die Pressesprecherin.
Rechtsmittel gegen diese Entscheidung gibt es nicht.
"Über Klimakleber einfach drüber fahren": . In: Legal Tribune Online, 08.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54511 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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