Der Gesetzgeber sehe es so vor: Das AG Tiergarten hat zwei Frauenärztinnen wegen unzulässiger Werbung für Schwangerschaftsabbrüche nach dem neugefassten § 219a StGB verurteilt. Vor dem Gerichtsgebäude gab es Proteste.
Das Amtsgericht (AG) Tiergarten hat zwei Berliner Frauenärztinnen wegen unzulässiger Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft zu Geldstrafen von jeweils 20 Tagessätzen zu je 100 Euro verurteilt. Durch das Angebot eines "medikamentösen, narkosefreien" Schwangerschaftsabbruchs "in geschützter Atmosphäre" auf der Internetseite der Gemeinschaftspraxis hätten die beiden Ärztinnen den Tatbestand des § 219a Strafgesetzbuch (StGB) erfüllt, so die zuständige Richterin in ihrer mündlichen Urteilsbegründung am Freitag (Urt. v. 14.06.2019, Az. 253 Ds 143/18).
Gegen die 56- und 52-jährigen Ärztinnen, die eine Gemeinschaftspraxis im Stadtteil Steglitz betreiben, war vor rund einem Jahr Anzeige erstattet worden. Die Staatsanwaltschaft warf den Gynäkologinnen vor, sie hätten zwischen Februar und Juli 2018 in unzulässiger Weise geworben.
Das Gericht schloss sich der Auffassung der Staatsanwaltschaft an. Zwar sei nach dem maßgeblichen Tatzeitraum Februar bis Juli 2018 die Vorschrift des § 219a StGB reformiert worden, die Art und Weise der Werbung sei aber auch nach der Neufassung weiterhin strafbar, entschied das AG. Die Ärztinnen hätten nicht nur über das Ob, sondern auch über das Wie des Schwangerschaftsabbruchs informiert.
Das sei aber nach dem Willen des Gesetzgebers weiterhin strafbar, teilte das Gericht mit. Dieser habe die Aufgabe der Information über die Arten und Umstände eines Schwangerschaftsabbruchs an die zuständigen Behörden, die Ärztekammern und Beratungsstellen delegiert. Ärzte dürften nur grundsätzlich darauf hinweisen, dass sie Abbrüche durchführen, so das AG.
Frauenrechtlerinnen fordern ersatzlose Streichung
In einer Mitteilung betonte das Gericht, dass es im Rahmen der Gewaltenteilung nicht dazu da sei, politische Fragen zu beantworten, und die Entscheidung des Gesetzgebers respektieren müsse. Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit der Vorschrift sah das AG nicht.
Nach heftigem Ringen zwischen CDU, CSU und SPD hatte der Bundestag im Februar 2019 dem Koalitionskompromiss zum sogenannten Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche zugestimmt. Ärztinnen und Ärztin dürfen demnach öffentlich machen, dass sie Abbrüche vornehmen. Weitere Informationen, etwa über die Methoden, sind den Anbietern nicht erlaubt.
Die Reform ist nach wie vor umstritten. Mehrere Organisationen wie der Bundesverband pro familia, der AWO-Bundesverband, das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und der Arbeitskreis Frauengesundheit hatten zu der Protestkundgebung am Rande des Strafprozesses aufgerufen. Dem folgten Frauenrechtlerinnen und forderten vor dem Gerichtsgebäude die ersatzlose Streichung des § 219a StGB.
Dem schloss sich auch die Berliner Senatsverwaltung an. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) erklärte kurz nach dem Urteil, dass er die Berliner Bundesratsinitiative zur Streichung des Paragraphen erneut auf die Tagesordnung setzen lassen will.
acr/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
AG Tiergarten nach Neufassung des § 219a StGB: . In: Legal Tribune Online, 14.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35939 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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