Alle Jahre wieder diskutiert die Thüringer Politik über eine Verfassungsänderung, denn ein unklar formulierter Artikel schafft Unsicherheit bei der Ministerpräsidentenwahl. Bräuchte ein möglicher AfD-Kandidat gar keine Mehrheit im Parlament?
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) schaut angesichts des Zuspruchs für die AfD mit großer Sorge auf die Landtagswahlen im kommenden Jahr. "Die Demokratie ist unter Druck. Und zwar auf eine Art, die wir bisher nicht kannten", sagte er der SZ. "Die Rechtsextremisten der AfD um Björn Höcke versuchen, die Demokratie mit allen Mitteln von innen heraus auszuhöhlen." Höcke ist AfD-Landeschef und Fraktionschef im Thüringer Landtag. "Wir Demokraten müssen uns dem Kampf stellen, für den wir bislang noch schlecht gerüstet sind", sagte Maier.
Der SPD-Politiker sprach sich dabei etwa für eine Präzisierung des Art. 70 Abs. 3 der Thüringer Landesverfassung aus. Der Artikel regelt die Ministerpräsidentenwahl und wird – man könnte es beinahe schon traditionell nennen – vor praktisch jeder Landtagswahl in Thüringen diskutiert, angesichts der hohen Umfragewerte für die AfD nun besonders. Demnach gibt es für die Wahl des Ministerpräsidenten drei Wahlgänge. Erhält in den ersten beiden niemand eine Mehrheit, wird nach dem dritten Wahlgang derjenige Ministerpräsident, der "die meisten Stimmen erhält". Je nachdem, wie man die Norm auslegt, heißt das, dass auch jemand mit mehr Nein- als Ja-Stimmen Ministerpräsident werden könnte.
Genau darum sorgt sich Maier nun. Seiner Ansicht nach schließt die jetzige Formulierung nicht aus, dass ein Kandidat im dritten Wahlgang mit einer einzigen Stimme gewählt wäre, obwohl alle anderen Abgeordneten gegen diesen stimmen. "Wir müssen die Verfassung wetterfest machen", sagte Maier. Dies müssen sehr schnell geschehen. Er mahnte: "Ich habe manchmal das Gefühl, wir schlafwandeln in ein ziemliches Desaster hinein und wachen am 2. September 2024 in einem autoritären System auf."
Hohe Umfragewerte für die AfD vor Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern
Die drei ostdeutschen Länder Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben 2024 Landtagswahlen, in allen drei Ländern war die AfD in Umfragen zuletzt Nummer eins. Der AfD-Landesverband Sachsen wurde kürzlich vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft, in Thüringen ist die Landes-AfD schon länger so eingestuft. In Thüringen führt Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) derzeit eine Minderheitsregierung von Linke, SPD und Grünen.
Die Menschen wählten die AfD mittlerweile nicht mehr als Protestpartei. "Ein Großteil der Wähler ist inzwischen überzeugt von ihrer Haltung", sagte Maier. "Mit Sorge erfüllt mich, dass wir mit der Annahme falschlagen, ihr Wählerpotenzial ende bei 20 oder 25 Prozent. Inzwischen wird deutlich, dass es diesen Deckel nicht mehr gibt." Viele Menschen hätten große Sorgen wegen der vielen Krisen. Phasenweise hätten sie sich auch noch Sorgen machen müssen um existenzielle Fragen wie: Habe ich genug Geld, um zu heizen?
Im Osten verdienten die Menschen durchschnittlich 25 Prozent weniger, das Vermögen sei nicht mal halb so groß wie der Durchschnitt im Westen. "Das sind soziale Probleme, die schreien zum Himmel. Und wenn wir diese Probleme nicht zum Thema machen, dann wird die Politik einen Teil der Bevölkerung verlieren", sagte Maier. "Ich glaube, die SPD im Bund hat das Thema Osten viele Jahre vernachlässigt."
dpa/ms/LTO-Redaktion
Diskussion über Verfassungsänderung vor Landtagswahl: . In: Legal Tribune Online, 28.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53504 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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