Zentimeter-Entscheidung beim DFB-Sieg gegen Dänemark: Abseits ist Abseits

Gastbeitrag von Frederick Assmuth

01.07.2024

In wenigen Minuten drehte sich das Spiel Deutschland gegen Dänemark von einem 0:1 zu einem 1:0. Deutschland profitierte dabei zwei Mal vom Videoassistenten. Ob zu Recht klärt für LTO der Bundesliga-Schiedsrichter-Assistent Frederick Assmuth

Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand sprach von "zwei lächerlichen Entscheidungen", die im EM-Achtelfinale mit Unterstützung des Video Assistant Referee (VAR) gegen sein Team und zugunsten der deutschen Nationalmannschaft getroffen wurden. Und doch lag Schiedsrichter Michael Oliver im Zusammenspiel mit dem VAR-Team richtig.

Hjulmands Kritik fußte insbesondere darauf, dass es bei beiden Entscheidungen (Abseits vor dem vermeintlichen Führungstreffer Dänemarks und Handelfmeter für Deutschland) um Zentimeter ging.

Wann darf der VAR eingreifen? 

Womit wir bei der Frage sind, wann der VAR überhaupt eingreifen soll. Die Maßgaben hierzu finden sich im VAR-Protokoll des International Football Association Borads (IFAB). Danach dürfen überhaupt nur vier Situationen überprüft werden: Tore, Strafstöße, direkte rote Karten und Spielerverwechslungen bei einer Karte. Bei "normalen" Fouls findet keine Kommunikation statt, selbst wenn diese z.B. zu einer Gelb-Roten Karte führen würden. Hier irren häufig selbst die Kommentatoren, auch bei der laufenden EM, die sich ab und an mal zu Unrecht "einen Hinweis des VAR" wünschen.

Aber auch in diesen Situationen darf der VAR nicht immer eingreifen, sondern nur unter zwei Bedingungen:

Zum einen bei einer "klaren und offensichtlichen Fehlentscheidung" des Schiedsrichters. Wenn etwa der Schiedsrichter einen Treffer aufgrund eines Foulspiels aberkennt, darf sich der VAR nur melden, wenn es offensichtlich kein Foulspiel war. Wenn die Entscheidung "Foul" hingegen vertretbar war, gibt es keine Intervention. 

Der zweite Fall sind "schwerwiegende übersehene Vorfälle". Der VAR darf sich also auch bei einer fehlenden Wahrnehmung des Schiedsrichter-Teams melden.

Leichte Hand-Berührung reicht für Elfmeter

Letzteres war der Fall, als David Raum am Samstagabend in die Mitte flankte und Dänemarks Abwehrspieler Joachim Andersen den Ball mit der Hand touchierte. 

Handspiel? Ja, meldet der Chip, BILD: UEFAFür Michael Oliver und sein Team war diese Berührung auf dem Feld nicht wahrnehmbar. Der Chip im Ball signalisierte jedoch dem VAR-Team, dass eine Berührung des Balles mit der Hand vorlag. Daraufhin meldete sich der VAR bei Oliver und empfahl ihm einen sogenannten "On-field Review". Dabei geht der Schiedsrichter zu einem neben dem Spielfeld aufgebauten Monitor und schaut sich selbst die Spielsituation an. Michael Oliver traf dann die korrekte Entscheidung: Strafstoß für Deutschland. Denn der dänische Spieler Andersen hatte eine klare Orientierung zum Ball und seine Armhaltung sprach für strafbares Handspiel. Auch ist es beim Handspiel unerheblich, ob der Spieler den Ball wegfaustet oder nur leicht berührt. 

Zentimeter reicht für Abseits

Knapper geht's kaum BILD: UEFABeim zuvor aberkannten Tor der Dänen ging es um wenige Zentimeter. Vorlagengeber Thomas Delaney stand mit der Fußspitze im Abseits, ehe Pechvogel Andersen das vermeintliche 1:0 für Dänemark erzielte. Und auch hier kam der Chip im Ball ins Spiel, der in Kombination mit der halbautomatischen Abseitserkennung zweifelsfreie Entscheidungen ermöglicht – seien sie auch noch so knapp. 

Denn beim Abseits spielt es keine Rolle, ob es Meter oder Millimeter sind: Abseits ist Abseits. Man spricht hier auch – vergleichbar zur Entscheidung, ob ein Ball im Tor war oder nicht – von einer "rein faktischen Entscheidung". Eine falsche faktische Entscheidung ist immer auch eine "offensichtliche Fehlentscheidung" im Sinne des VAR-Protokolls. Das ist übrigens auch der Grund, warum sich Schiedsrichter Oliver in diesem Fall nicht selbst in der "Review-Area" ein Bild von der Situation gemacht hat. Es ging nicht um eine Auslegungsfrage, so dass Oliver hier seine Entscheidung alleinig auf Basis des VAR-Hinweises treffen konnte.

Um den Videobeweis und andere spannende EM-Rechtsfragen geht es auch in aktuellen Folge des LTO-Podcasts "Die Rechtslage":

VAR macht Fussball gerechter

Die Hinweise des VAR beim EM-Achtelfinale in Dortmund kamen also zu Recht,  auch wenn sie den Dänischen Trainer Kasper Hjulmand nicht erfreut haben. Und man mag als Fußballromantiker noch so sehr von der Zeit vor dem "Video Assist" träumen, unter dem Strich macht er den Fußball berechenbarer und gerechter. Zahlen aus der abgelaufenen Bundesliga-Saison belegen, dass acht fehlenden Eingriffen 126 korrekte VA-Interventionen gegenüberstanden, auf deren Basis 123 Entscheidungen korrigiert wurden.

Den spätestens seit Samstag weltbekannten "Chip im Ball" gibt es in der Bundesliga übrigens (noch) nicht. Mithilfe der Torlinienkameras können aber Berührungen wie die bei Andersens Handspiel zumindest mithilfe der Flugkurve des Balles nachgewiesen werden.

Frederick Assmuth ist seit 2009 Schiedsrichter-Assistent in der Fußball-Bundesliga und kommt zudem regelmäßig als Assistant Video-Assistant Referee (AVAR) in der höchsten deutschen Spielklasse zum Einsatz. Hauptberuflich ist er als Director Communications & Branding bei Wolters Kluwer Deutschland tätig, zu der auch LTO gehört.

 

Zitiervorschlag

Zentimeter-Entscheidung beim DFB-Sieg gegen Dänemark: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54900 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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