Der Rechtsstaat muss seine Feinde bekämpfen, darf aber dabei nicht seine Prinzipien opfern. Auch wenn der Compact-Beschluss des BVerwG diesen Balanceakt gut meistert, vermisst Wolfgang Schulz klare Leitlinien zum Schutz der Pressefreiheit.
Die wehrhafte Demokratie wird derzeit viel beschworen und das aus gutem Grund. Wir haben es mit ernstzunehmenden Bestrebungen zu tun, das demokratische System zu untergraben, und Berichte der Verfassungsschutzämter erhärten den Verdacht, dass derartige Kräfte in der AfD starken Einfluss haben. Das machen Passagen, die das BVerwG in seinem Beschluss aus Compact-Beiträgen zitiert, noch mal deutlich, in denen das Gericht Anhaltspunkte insbesondere für eine Verletzung der Menschenwürde finden.
Der wehrhafte demokratische Rechtsstaat vollführt einen heiklen Balanceakt: Er muss seine Feinde in die Schranken weisen, aber er muss dies mit rechtsstaatlichen Mitteln tun, sonst wird er zwar nicht zerstört, aber er zerstört sich selbst. Letzteres vermittelt zwar das Gefühl von Handlungsmacht, ändert aber nichts am Ergebnis. Das bedeutet etwa, dass auch Extremisten, solange ihnen nicht die Grundrechte entzogen wurden, vollen materiellen und prozeduralen Schutz genießen, auch wenn das angesichts der deutschen Geschichte gerade bei rechtsradikalen Ideologen schwer zu ertragen ist.
Die Entscheidungsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts im Compact-Beschluss zeigt, dass juristische Methodik – unaufgeregt und kundig angewandt – hilft, diesen schwierigen Balanceakt zu meistern. Wir wissen faktisch und was die rechtliche Einschätzung angeht, noch nicht genug, um den endgültigen Ausgang des Verfahrens zu prognostizieren. Die basale Argumentation überzeugt allerdings, auch wenn man hier und da anders hätte abbiegen könnte.
Vereinsrecht ungeeignet für Medienverbote
Letzteres gilt etwa für die Frage, ob und inwieweit vereinsrechtliche Maßnahmen die Pressefreiheit einzuschränken vermögen. Das BVerwG hält das für möglich, will aber die pressefreiheitlichen Anforderungen im Rahmen der Vereinigungsfreiheit prüfen. Das ist sicher ein gangbarer Weg und auch hier eng angelehnt an die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12 -, Rn. 93).
Er führt allerdings dazu, dass von Personenmehrheiten verantwortete Schriften leichter verboten werden können als solche von Einzelpersonen. Das ergibt, wenn es allein um die Wirkung der Kommunikationsinhalte geht, keinen Sinn und zeigt letztlich, dass der Rückgriff aufs Vereinsrecht für Gefahren, die von Medien ausgehen, nicht das richtige Mittel ist.
Vor diesem Hintergrund kann man dann doch Zweifel haben, ob § 3 des Vereinsgesetzes Verlage überhaupt erfassen kann. In jeden Fall aber ist dies nur möglich, wenn und soweit die Medientätigkeit ausschließlich der Verwirklichung verbotswidriger Vereinszwecke – ich würde sagen: außerhalb der Medientätigkeit – dient; dies erkennt das Bundesverwaltungsgericht in einer älteren Entscheidung auch an (BVerwG, Urteil vom 28. Januar 1997 - 1 A 13.93). Die aktuelle Entscheidung verweist auf das Urteil, aber ohne diese Differenz zu reflektieren.
Verwaltungsfestigkeit der Medien
Ob im Rahmen der Vereinigungsfreiheit oder einer eigenständigen Prüfung – Medien bedürfen wegen ihrer Funktion für die individuelle und öffentliche Meinungs- und Willensbildung besonderen Schutzes, insbesondere auch prozedural. Die Landespressegesetze enthalten zu diesem Zweck Vorschriften, die die “Polizeifestigkeit" der Presse sichern sollen. Sie sind hier nicht unmittelbar einschlägig, sie sind aber einfachgesetzliche Ausprägung eines verfassungsrechtlichen Schutzes durch die "Verwaltungsfestigkeit der Medien".
Über diesen Grundsatz ist aktuell wenig geschrieben worden, und auch die Rechtsprechung ist übersichtlich. Richtig verstanden geht es um zwei Komponenten prozeduralen Grundrechtsschutzes: Die Möglichkeit, von Inhalten der Medien ausgehende Gefahren abzuwehren, soll bestimmten Akteuren vorbehalten sein: dem Gesetzgeber mit abstrakt-generellen Regelungen und in der Durchsetzung unabhängigen Gerichten und staatsfernen Aufsichtsbehörden.
Der Grund liegt auf der Hand: Die Regierung und die von ihr gesteuerte Verwaltung soll keine Instrumente in der Hand haben, ihr unliebsame Medieninhalte zu unterdrücken. Dies ist verfassungsrechtlicher Ausdruck des unguten Bauchgefühls einiger Beobachter dieses aktuellen Vorgangs – mich eingeschlossen –, das sich vielleicht so beschreiben lässt: "Es trifft die Richtigen, aber dass die Innenministerin das mit einem Federstrich tun kann, ist merkwürdig."
Spezifische gesetzliche Grundlagen müssen her
Die zweite Komponente des Grundsatzes ist die Notwendigkeit spezifischer gesetzlicher Grundlagen. Die Pressefreiheit soll nicht en passant beim Anwenden allgemeiner Regelungen zu Schaden kommen. Was das konkret bedeutet, bedürfte der weiteren Ausarbeitung. In jedem Fall führt es dazu, dass Regelungen, die nicht spezifisch die Medieninhalte adressieren, eng auszulegen sind, wenn sie auf Medien angewandt werden können.
Die Besonderheit der Medien spielt bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in der Entscheidung eine gewisse Rolle. Hier erwähnt das BVerwG andere Handlungsmöglichkeiten, wie “presse- und medienrechtliche Maßnahmen". Welche das im Bereich der gedruckten Presse sein sollen, bleibt allerdings offen.
Insgesamt sollte das Hauptsacheverfahren Anlass bieten, Leitlinien für eine saubere Balance von Freiheit und Wehrhaftigkeit zu finden. Denn leider wird es wohl künftig noch weitere Fälle dieser Art geben.
Prof. Dr. Wolfgang Schulz ist Inhaber des Lehrstuhls für Medienrecht, Öffentliches Recht und Rechtstheorie an der Universität Hamburg, Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut, Direktor des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft sowie Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für die Freiheit der Kommunikation und Information.
Bundesverwaltungsgericht zu Compact: . In: Legal Tribune Online, 22.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55246 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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