Die Justiz hat Nachwuchsprobleme und das liegt auch am Geld. Thomas Fischer hat zur Frage der Angemessenheit der Besoldung eine klare Antwort. Doch auch innerhalb der Richterschaft sieht er Miseren und hat einen radikalen Vorschlag.
Wenn es um Geld, Einkommen, Verdienst geht, wird die Diskussion oft schwierig, weil Geld in unserer Gesellschaft das zentrale, alles überragende Medium der sozialen Differenzierung ist und die Rangordnung wesentlich bestimmt. Es gibt noch andere Differenzierungskriterien (insbesondere Macht). Diese sind aber eher sektoral von Bedeutung (insbesondere im staatlichen Bereich).
Man muss daher davon ausgehen und einkalkulieren, dass Fragen nach der "Angemessenheit" von Einkommen stets in hohem Maß von Interessen bestimmt sind, die nicht unbedingt etwas mit rationalen Kriterien zu tun haben und sich nur schwer objektivieren lassen.
Einkommen und "Gerechtigkeit"
Dabei ist es eigentlich nicht selbstverständlich, dass Einkommensunterschiede auch in sehr erheblicher Höhe so allgemein akzeptiert werden, wie es bei uns der Fall ist. Die Anzahl der Bürger, die meinen, allen stehe im Grundsatz das Gleiche zu, ist erstaunlicherweise sehr gering. Die allermeisten akzeptieren die geldgesteuerte soziale Differenzierung grundsätzlich in weitem Umfang.
Dem steht nicht entgegen, dass beinahe jeder Vorstellungen von "gerechter" Einkommensverteilung hat, die von den tatsächlichen Verhältnissen abweichen. Die moralisch/ethisch weithin gesicherte Grundlage dafür lautet einerseits, dass Einkommen ein Entgelt für "Leistung" sei. In Bereichen, wo dies offenkundig nicht stimmt, ist die Legitimitätsgrundlage für hohe Einkommen deutlich niedriger.
Andererseits gibt es in einer kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Ordnung auch die Legitimitätsgrundlage der "Marktmacht": Einkommen ist danach der Preis, den der Einzelne für seine Leistung durchsetzen kann. Schließlich gibt es einen breiten Bereich, in dem sich "Leistung" gar nicht oder kaum originär bestimmen und quantifizieren lässt.
Von richtenden Beamten zu Richtern
Berufsrichter in Deutschland sind öffentlich Bedienstete. Ursprünglich waren sie Staatsbeamte, und in vielerlei Hinsicht werden sie rechtlich auch heute noch so behandelt. Allerdings ist ihre Stellung in zentralen Punkten eine andere: unabhängig, nicht weisungsgebunden, unversetzbar. Die frühere Zuordnung zur "Beamtenschaft" ließ sich bis Anfang der 1970er Jahre noch an den Dienstbezeichnungen ablesen: "Amtsgerichtsrat", "Landgerichtsdirektor" usw. – also eine direkte Übertragung der Dienstbezeichnungen aus dem sog. Höheren Dienst des Beamtenapparats (Rat, Oberrat, Direktor, Leitender Direktor …). Entsprechend erfolgte die Einordnung in die "Besoldungsstufen": "Rat" (Studien-, Regierungs-, Post-, Forst- usw. ) als Eingangsamt.
Das hat man vor 50 Jahren geändert. Seither ist die Beamtenhierarchie aus den Dienstbezeichnungen ein wenig verschwunden, wenngleich noch angedeutet: Wer früher "Landgerichtsrat" und "Landgerichtsdirektor" hieß, heißt jetzt "Richter am Landgericht" und "Vorsitzender Richter am Landgericht", obwohl der "Vorsitz" ja nur eine Funktion in der Hauptverhandlung ist und keineswegs "Vorgesetzter" bedeutet, wie es (planmäßig) insinuiert und von den meisten Laien geglaubt wird. In der Besoldung ist man bei der Hierarchie geblieben, nennt sie allerdings anders: Statt der Besoldungsordnung A (A 13 bis A 16) und B (B 1 bis B 11) gilt für Richter die Besoldungsordnung R (R 1 bis R 10). Dabei liegt R 1 (Einstiegsgehalt) ungefähr auf der Höhe von A 15 (Regierungsdirektor), ab R 3 entspricht die Stufung der Ordnung B (B 3 = "Ministerialrat").
Was das jeweils konkret bedeutet, kann man den Besoldungsordnungen des Bundes und der Länder sowie den jeweiligen Anlagen dazu entnehmen. Beispielhaft: "R 2" verdienen ein Vorsitzender Richter am Landgericht, ein Richter am Oberlandesgericht, ein Direktor eines (kleinen) Amtsgerichts. Die große Mehrzahl der Richter aller Gerichtsbarkeiten in Deutschland hat ein Grundgehalt nach R 1 oder R 2. Dazu kommen Familienzuschläge.
Besoldungs- und Bedeutungspyramide
Ab Besoldungsgruppe R 3 verschlankt sich die Pyramide schnell: Für R 3 muss man schon Vorsitzender eines OLG-Senats sein, Richter am Finanz- oder am Bayerischen Obersten Landesgericht, oder eine Verwaltungsstelle (Vizepräsident von irgendwas) besetzen. "Einfache" Bundesrichter verdienen R 6, so viel wie – B 6 – ein Ministerialdirigent (Unterabteilungsleiter in einem Bundesministerium; Abteilungsleiter in einem Landesministerium). R 8 verdienen Präsidenten von Oberlandesgerichten oder Vorsitzende Richter an Bundesgerichten.
Bemerkenswert ist, dass die realen, in Zahlen messbaren Einkommensunterschiede zwischen diesen für Laien komplizierten Stufungen nicht entfernt die informellen Hierarchieunterschiede ausdrücken, die sie in der justiziellen Praxis bedeuten. Als Faustregel kann man davon ausgehen, dass jede Stufe einen Zuwachs des Grundgehalts von (brutto) 600 Euro bedeutet. Das wird auf den beiden untersten Stufen noch dadurch kompliziert, dass eine Steigerung im Zwei-Jahres-Rhythmus erfolgt: Das R-1-Grundgehalt fängt bei 4.600 Euro an und endet bei 7.000; das R-2-Grundgehalt fängt bei 5.800 Euro an und endet bei 7.700 Euro. Das gilt jeweils ungefähr, im Bundesland Bayern. In anderen Bundesländern weichen die Zahlen ab, der Bund hat für seine Richter eigene Tabellen. Ab Stufe R 3 sind die Grundgehälter dann "fest", steigen also nicht mit Lebens- oder Dienstjahren.
Von den Besoldungssprüngen bei Beförderung bleibt also "netto" nicht sehr viel übrig. Dafür steigt das Prestige in der Außensicht beträchtlich und in der Innenperspektive fast noch mehr. Ein "Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht" darf sich schon recht nah an der Sonne fühlen (und tut es meist auch), auch wenn er nicht mehr Verantwortung trägt wie der notorisch "kleine Amtsrichter" und weder schlauer noch "besser" sein muss als dieser.
Mehr Verantwortung, geringere soziale Stellung
In Deutschland gibt es – in allen Gerichtsbarkeiten – ungefähr 21.000 Berufsrichter. Das ist viel, aber nicht inflationär: Ein Richter auf 4.000 Einwohner. Allenthalben wird geklagt, die Justiz halte zu wenig Kapazitäten vor. Was "viel" und "wenig" bedeuten, bestimmt sich nach der Nachfrage. In Staaten mit starker Konsens-Kultur und sehr niedrigem formellen Streitbedürfnis (z. B. Japan) ist die Richterdichte viel niedriger. In anderen Staaten ist sie höher. Ein Richter für alle Rechtsfälle und Streitigkeiten von 4.000 Bürgern scheint jedenfalls nicht zu viel.
Wenn die Entscheidungsstrukturen gleich bleiben, die Zahl der Rechtsfälle, deren sachlicher Umfang und die Erwartungen an Aufklärung, "Aufarbeitung", Begründung usw. jedoch ständig steigen, führt das zwangsläufig zu Mangellagen.
Die Justizverwaltung, von den Regierungen notorisch mit Minimaletats abgespeist, versucht dem mit steter "Beschleunigung" abzuhelfen, was zwar weder der Justiz noch den Bürgern nützt, aber preisgünstig ist. Als besonders "gut" gelten dann Richter, die besonders "schnell" sind und möglichst viel "vergleichen" (Zivil- und Verwaltungsrecht) oder "absprechen" (Strafrecht) – Hauptsache, die Erledigungszahlen stimmen.
Reihenendhaus nur mit Erbe möglich
Obgleich also dem Recht und den Richtern ständig mehr (formelle) Aufgaben und (informelle) Verantwortungen zugewiesen werden, sinkt ihre soziale Stellung. Vor 60 und noch vor 50 Jahren zählte ein "Landgerichtsdirektor" (heute: Vorsitzender Richter am LG) wie der "Oberstudiendirektor" des örtlichen Gymnasiums nicht nur zur Honoratiorenschicht seiner Heimat-Kleinstadt, sondern auch zu deren "gutsituiertem" Teil. Ein Einfamilienhaus in halbwegs guter Lage war mit fleißigem Sparen auch ohne Erbschaft machbar, und die nicht berufstätige Frau Gattin hatte Aussicht auf ein auskömmliches Witwenleben.
Das ist heutzutage fernliegend: Entweder man erbt oder zwei Personen arbeiten 30 Jahre mit aller Kraft – oder man kann das Reihenendhaus mit 200 Quadratmeter Grundstück im S-Bahn-Bereich vergessen. Von den halbwegs gediegenen "Residenzen" der Immobilienangebote einmal ganz zu schweigen. Entgegen allen "social-media"-Gerüchten ist der öffentliche Dienst (in Westdeutschland) in den vergangenen 50 Jahren in einem bemerkenswerten Maß abgewertet worden, stets mit dem populistischen (aber nicht ganz falschen) Argument der Arbeitsplatzsicherheit, der Pensionsgewissheit (max. ca. 70 Prozent vom letzten Bruttobezug) und der sozialrechtlichen Privilegien (Krankenbeihilfe!).
Da man spätestens mit der Beförderung nach R 2 zu den "Besserverdienenden" zählt, deren starke Schultern regelmäßig "einen Beitrag" zur allgemeinen Gießkannen-Wohltatenlage zu leisten haben, gibt es für die "Durchschnittsverdiener"-Bevölkerung immer noch gerade genug zu beneiden und anzuprangern.
Im EU-Vergleich liegen deutsche Richtereinkommen unten
Was viele nicht wissen: Im EU-Vergleich liegen die deutschen Richtereinkommen weit unten, worauf vor kurzem auch die EU-Kommission hinwies und Deutschland zum Handeln aufforderte. Sozialprestige, Anforderungen und Realitäten liegen weit auseinander. Spitzenabsolventen der juristischen Examen sind auch vor 50 Jahren meist nicht Richter geworden. Heutzutage muss die Justiz frohlocken, wenn sie den unteren Rand der mittelmäßig Abschneidenden abkriegt. Spitzenleute, die ins Richteramt streben, haben Seltenheitswert.
Das hat viele Gründe, zu denen auch Arbeitsbedingungen, Prestige und Aufstiegschancen zählen. Dass man Menschen, die eine sehr qualifizierte akademische Ausbildung nach sieben oder acht Jahren Dauer mit sehr gutem Erfolg absolviert haben, mit einem Anfangs-Bruttojahresgehalt von 60.000 Euro dafür gewinnen könne, zwischen dem 30. und dem 50. Lebensjahr ihre ganze Kraft in den Lebensplan zu investieren, mit 67 Jahren vielleicht ein Nettogehalt von 5.000 Euro und eine Pension von 3.800 Euro zu erwirtschaften, die bestenfalls knapp für das Altenheim reicht, klingt doch eher fernliegend.
Antwort, im Ergebnis und Vorschlag:
Richter in Deutschland verdienen ohne Zweifel zu wenig. Dies zu sagen, ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Es ist auch kein bloßes Verlangen nach "ungerechter" Privilegierung. Das Übel liegt vielmehr tiefer: Die hierarchieorientierte Abstufung der Besoldung ist sachwidrig. Ein Richter am Amtsgericht "leistet" nicht weniger als ein Richter am Bundesgerichtshof, sondern hat (nur) eine andere Aufgabe.
"Bedeutung" aus kleinteiligen Besoldungsordnungen zu generieren, ist der Aufgabe und Verantwortung nicht angemessen. Es geht also eigentlich nicht um neidgesteuerte Debatten um willkürlich ausgesuchte "Vergleiche", sondern um die Bewertung der Justiz als solcher, in vielerlei Hinsicht. Ein radikaler Vorschlag am Schluss: Einheitliche, in allen Instanzen und Funktionen gleich hohe Besoldung aller Richter in einer Höhe, die der existenziell herausgehobenen Stellung der Aufgabe entspricht.
Eine Frage an Thomas Fischer: . In: Legal Tribune Online, 16.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49315 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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