Digital-Anwältin warnt vor dem Blockchain-Hype: "Smart con­tracts sind weder smart noch con­tracts"

20.09.2017

2/2: Smart Contracts – weder "Smart" noch "Contract"

Während in den Publikumsmedien im Wochenrhythmus neue Kursrekorde der Cryptowährung Bitcoin verkündet werden, stürzen sich die inzwischen zahlreichen Legal-Tech-Konferenzen vor allem auf das Blockchain-Thema Smart Contracts. Nachvollziehen kann Otto die Begeisterung nicht:

"Das sind keine Verträge und smart sind sie auch nicht. Es sind nur Computerprogramme. Auf deren Sinn und Funktionalität kommt es nicht einmal an. Ein Verständnis dafür, was Smart Contracts eigentlich sind, fehlt erkennbar und wird auch durch Juristen in falsche Bahnen gelenkt." Die realen Möglichkeiten seien zu stark beschränkt, begründet sie ihre Skepsis, "ob bedingt durch das Interesse am Kennen des Gegenübers, durch Skalierungsprobleme, mangelnde Gleichzeitigkeit der Prozesse oder schlichtweg Technikunreife."

Die Smart-Contract-Anwendungsfälle, die immer wieder als Beispiel herangezogen werden, gingen stets zu Lasten des Verbrauchers, ist Claudia Otto überzeugt. Zum Beispiel die Fahrzeugsperre, wenn Leasingraten nicht gezahlt würden. In solchen Szenarien seien die Rechte der Kunden ausgehebelt und ein De-facto-Recht des Stärkeren etabliert. "Das ist eine Dystopie", warnt die Anwältin. "Smart Contracts lehne ich deshalb ab."

Smart Legal Contracts: Was wirklich automatisierbar ist

Um echte digitalisierte und automatisierte Verträge von solchen Computerprogrammen zu unterscheiden, wird von ihr und anderen Experten der Begriff "Smart Legal Contracts" vorgeschlagen. Auch ihnen steht Otto kritisch, aber weitaus offener gegenüber. "Wozu ist ein Vertrag da? Er soll doch nicht nur zum Beispiel die Miete einspielen."

Wollte man ihn aber komplett automatisieren, müsste man sämtliche Eventualfälle vorausahnen, um deren  Rechtsfolgen im Code berücksichtigen zu können. Dann aber stehe der Aufwand in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen. "Man kann also immer nur einen sehr kleinen Teil automatisieren", fasst die Anwältin zusammen.

Wie ein Smart Legal Contract aussehen kann, hat Claudia Otto in ihrem Projekt "Prototyp eines automatisierten Wohnungsmietvertrags" skizziert. Daneben hat sie mit der "Fibonacci Law Firm" die Idee für ein juristisches Wissensmanagement-Tool auf Blockchain-Basis vorgestellt und mit "Nashgotiation" ein Dispute-Resolution-Tool auf Grundlage der Spieltheorie. Sollen dies Ausgangspunkte für Start-ups sein? Nicht unbedingt. Ihre Motivation sei das Interesse an den Themen, betont die Frankfurterin. Ausschließen will sie aber nicht, dass sich eines ihrer Projekte zum Start-up entwickelt: "Man muss ausloten, ob man Geschäft auf einer der Ideen aufbauen kann".

Kein Anwendungsfall für Anwälte erkennbar

Und die Blockchain? Otto hält sie nicht für  geeignet, einem Smart Legal Contract als technologische Grundlage zu dienen: "Sie lagern Ihre Verträge schließlich auch nicht bei Unbekannten einsehbar auf deren Schreibtisch." Der einzige originär juristische Anwendungsfall kann ihrer Ansicht nach daher nur dort sein, wo Publizität erwünscht ist,  bei öffentlichen Registern also.

Hier hält sie das Grundbuch für den interessantesten Ansatzpunkt. Ob ein Blockchain-Grundbuch auch realisierbar sei, hänge vom Gesetzgeber und der Sicherheit des Datenbestands ab. Unser etabliertes System mit Rechtsvorsorge und Beratung durch den Notar könne zwar beschleunigt werden, aber auch dafür gebe es besser geeignete Technologien, so die Juristin. Denn bei einer Blockchain dürfen nicht nur alle Nutzer alle Inhalte einsehen, sondern auch Eintragungen vornehmen. Will man wirklich, dass jeder Bürger das Grundbuch verändern darf? Entsteht dadurch öffentlicher Glaube?

Schließlich sei es ein Irrglaube, dass eine Blockchain die Kosten reduziert. "Man vergisst die notwendigen Mehrinvestitionen v.a. in erfahrene Entwickler, hochfrequente Wartungs- und Updateprozesse sowie eine konstante Angriffsabwehr."

Bei aller Kritik an den zurzeit gehandelten Konzepten bescheinigt Otto der Blockchain großes Potenzial: "Es ist eine unreife Technologie, die noch fünf bis zehn Jahre Entwicklung benötigt. Dabei werden sich die Anwendungsfälle herauskristallisieren." Sie verortet diese vor allem dort, wo es um hochredundante Datensicherung bei Unabhängigkeit von Umwelteinwirkungen auf einen zentralen Server geht. Für Anwälte aber sieht sie, Stand heute, keinen einzigen Anwendungsfall: "Wir sind Berufsgeheimnisträger. Eine Blockchain, deren Stärke im Teilen von Wissen liegt, steht unseren Pflichten aus dem Mandat diametral entgegen".

Der Autor Christian Dülpers ist Head of Product & Marketing Legal Tribune Online & Smartlaw bei Wolters Kluwer 

Zitiervorschlag

Digital-Anwältin warnt vor dem Blockchain-Hype: . In: Legal Tribune Online, 20.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24405 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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