Eine junge Kuh floh vor der Schlachtbank. Die Polizei hielt das Tier für einen gefährlichen Bullen und erlegte es mit einer Maschinenpistole. Nun fordert der Eigentümer 3.000 Euro Schadensersatz, die Polizei habe zu früh geschossen.
Diese Geschichte könnte aus Texas stammen: Einem Rinderzüchter entflieht ein Tier, der Sheriff greift zum Revolver, das getroffene Rindvieh bricht zusammen, bevor es Menschen verletzen kann. Der Fall, der zurzeit die 4. Zivilkammer beim Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth beschäftigt, spielt aber nicht in El Paso, sondern in der Nähe von Iphofen, mitten in der fränkischen Provinz. Der Vorfall hat ein juristisches Nachspiel, denn der deutsche Landwirt hält wenig von rauchenden Feuerwaffen und fordert nun vor Gericht Schadensersatz.
Es war im Mai 2019, als seine zwei Jahre alte Färse reif für die Schlachtbank war. Doch einen offenen Schlitz im Pferch des Schlachthofes nutzte es zur Flucht. Die Ehefrau des Landwirts rief die Polizei zu Hilfe. Dann begann eine Verfolgungsjagd – und eine Reihe von Missverständnissen.
Eine Stunde lang hetzte die Frau mit ein paar Helfern durch Wald und Wiesen, die Polizisten im Einsatzfahrzeug gaben ihr den jeweils aktuellen Standort der Kuh durch. Der Plan war für die Frau klar: Sie wollte, dass das Tier in freier Wildbahn erlegt wird. Mit Tierarzt, Metzger und einem geübten Schützen vor Ort ist das möglich. Dann - so der Plan - findet die Schlachtung sach- und artgerecht an Ort und Stelle statt, der Metzger bringt das tote Rind in den Schlachthof und verarbeitet dort das Fleisch.
Polizisten halten Kuh für Bullen
Die Polizisten haben aber offenbar in der Hitze des Gefechts und im Wirrwarr von Handy- und Funksprüchen etwas anderes verstanden: Für sie war klar, dass die Frau, die sie für die Eigentümerin des Tieres hielten, mit Schüssen aus Polizeiwaffen einverstanden war. Einer der Beamten griff zur Maschinenpistole und drückte ab. Dreimal, wie er sagt. Viermal, wie andere Augen- und Ohrenzeugen sich erinnern. "Das gibt es doch nicht!", soll der Schütze ausgerufen haben, als die Kuh, die im Verständnis der Polizisten ein Bulle war, nach zwei Schüssen noch immer auf vier Beinen stand. Nach Schuss drei brach die Kuh zusammen.
Der Landwirtin passte das gar nicht, denn das Tier war tot, die gesetzlich vorgeschriebene Lebendbeschau durch den Tierarzt damit nicht mehr möglich. Das teure Rindfleisch vom Iphofener Waldhof, rund 300 Kilo in der Summe, war nicht mehr zu gebrauchen.
Hubertus Freiherr von Crailsheim, Rinderzüchter und Gutsherr in Iphofen (Landkreis Kitzingen), verklagte nun den Freistaat Bayern auf die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 3.000 Euro - das ist der Schlachtwert des Tieres. Die beteiligten Polizisten machen geltend, sie hätten nur Schaden von der Bevölkerung naheliegender Ortschaften abwenden wollen. Die Kuh habe auf ihrer Flucht mehrmals Straßen überquert, ein paar hundert Meter weiter wohnten im Örtchen Kornhöfstadt Kinder.
Richter empfielt Vergleich
Der klagende Freiherr hält dem entgegen, die Schüsse seien voreilig gefallen, es wären nur zwei Minuten später Tierarzt, Metzger und ein erfahrener Jagdschütze zur Stelle gewesen. Auch Richter Martin Wiesinger-Kleinklein merkte an: "Eine Informationen, dass jetzt geschossen wird, vermisse ich da schon."
Das Gericht sah einen Vergleich als den richtigen Weg an – 1.500 Euro vom Freistaat für den Gutsherren. "Ich empfehle dringend einen Vergleich", sagte der Richter. So ganz verhältnismäßig seien die Schüsse - bei allem Verständnis für die Notwendigkeit von Gefahrenabwehr - aus der Dienstwaffe auf den Kopf des Rindviehs wohl nicht gewesen. Eine akute Gefahr sei von der Kuh nicht ausgegangen.
Doch darauf wollte der Vertreter des Freistaates zunächst nicht eingehen. Eine Entscheidung wird voraussichtlich am 22. September verkündet.
dpa/acr/LTO-Redaktion
LG Nürnberg-Fürth: . In: Legal Tribune Online, 08.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42128 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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