Das beamtenrechtliche Versorgungsrecht schützt Beamte, wenn ein Schadensereignis "in Ausübung des Dienstes eingetreten ist". Ob Beamte auch schlafend ihren Dienst ausüben können und dabei sogar verunfallen können, fragt sich Sebastian Felz.
Beamtenwitze sind Legion. Gefühlt jeder zweite Staatsdienerscherz behandelt das angeblich ausgeprägte Schlafbedürfnis von Beamtinnen und Beamten auch während der Dienstzeit. Dazu passt eine "wahre" Begebenheit, die sich in einer deutschen Amtsstube abgespielt haben und von einem Gericht entschieden worden sein soll.
Dieser ungewöhnliche Arbeitsunfall wurde in Fernsehsendungen, Blogs und in Büchern nacherzählt: Ein Beamter sei angeblich während seiner Dienstzeit im Schlaf vom Stuhl gefallen und habe sich dabei die Nase gebrochen. Das Gericht habe hier einen Dienstunfall bejaht. Der Richter habe argumentiert, dass ein solcher dann vorliege, wenn jemand in Folge von Überarbeitung vom Schlaf übermannt werde und dann vom Stuhl falle. Es gäbe Prozesse, so schrieb die "Welt", die halte man als normaler Mensch gar nicht für möglich. Das könne auch daran liegen, dass sie so gar nicht stattgefunden haben, doch dazu später.
Umfänglicher Unfallschutz im Beamtenrecht
Arbeitsunfall im Schlaf: Geht denn das überhaupt? Blickt man auf die Gesetzeslage, so gilt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Beamtinnen und Beamten während der Arbeit unter besonderem gesetzlichen Unfallschutz stehen. Dieser ergibt sich für Beamte aus § 31 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtenVG) sowie den entsprechenden Ländergesetzen und für Beschäftigte, die nicht in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis stehen, aus § 8 Sozialgesetzbuch (SGB) VII.
Die beiden Vorschriften changieren leicht im Tatbestand: Während Beamte "in Ausübung des Dienstes" geschützt sind, greift die gesetzliche Unfallversicherung ein, wenn das Schadensereignis „infolge einer den Versicherungsschutz […] begründenden Tätigkeit“ geschieht.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urt. v. 24.10.1963, Az: II C 10.62) hat zu der Frage, wann die "Ausübung des Dienstes" vorliege, ausgeführt: "Dass der Beamte unter Unfallschutz verbleibt, wenn er während des Dienstes den im Dienstgebäude gelegenen Waschraum aufsucht, oder wenn er sich auf dem Flur des Dienstgebäudes ein Glas Trinkwasser holt, kann ernstlich nicht in Frage gestellt werden.
Nichts Anderes kann gelten, wenn der Beamte an seinem Schreibtisch seine Gedanken in den privaten Bereich abschweifen lässt, wenn er ans Fenster tritt, um einen Vorgang auf der Straße zu beobachten, wenn er mit einem Kollegen ein privates Gespräch führt, zumal wenn das Gespräch aus dem dienstlichen in den privaten Bereich überging, oder wenn er in der Bücherei nach dem Studium von Fachliteratur auch einen Blick in eine dort aushängende illustrierte Zeitschrift wirft. Der Beamte ist kein ‚Dienstausübungsautomat‘, sondern er bleibt auch im Dienst und auch bei der ‚Ausübung‘ des Dienstes ein Mensch mit seinen persönlichen Bedürfnissen, Gedanken und Empfindungen.
Sein Verhalten schwankt - auch im Rechtssinne - nicht von Minute zu Minute zwischen Dienstausübung und außerdienstlichem Verhalten hin und her. Es kann sich nur darum handeln, wann und unter welchen Voraussetzungen die auch bei der Ausübung des Dienstes naturgegebene ‚Gemengelage‘ eindeutig dem privaten Bereich zuzurechnen ist.
Der Beamte im Banne des Dienstes
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit geht also von einem weiten Verständnis des Tatbestandsmerkmals "Ausübung des Dienstes" aus. Dieses sei dann erfüllt, wenn das Unfallgeschehen zeitlich und räumlich in Beziehung zum Dienst geschehe oder anders ausgedrückt, wenn der Beamte "im Banne des Dienstes" stehe.
Diese Rechtsprechung führt dazu, dass der Beamte auch bei höchst persönlichen Verrichtungen dienstunfallrechtlich geschützt ist, beispielsweise beim Toilettengang (BVerwG, Urt. v. 17.11.2016, Az.: 2 C 17.16). Der Beamte ist eben kein "Dienstausübungsautomat".
Die sozialgerichtliche Arbeitsunfalljudikatur fragt stärker wertend, ob hier ein Schadensereignis "infolge einer versicherten Tätigkeit" eingetreten sei und geht z. B. bei Unfällen auf dem stillen Örtchen nach Überschreiten der Schwelle der sanitären Räumlichkeiten von einer unversicherten Eigenwirtschaftlichkeit (zuletzt Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 30.04.2022, Az. L 10 U 2537/18) aus.
Der Beamte war eine Wirtin
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechungstradition im beamtenrechtlichen Versorgungsrecht wäre ein Bejahen eines Dienstunfalles im Schlaf denkbar, wenn die zuvor ausgeübten anstrengenden Dienstgeschäfte zur "Übermannung" des Beamten geführt haben. Der Beamte könnte also den "Dienstbann" mit in den Schlaf nehmen.
Allerdings ist diese Konstellation dienstunfallrechtlich (soweit ersichtlich) noch nicht entschieden worden. Denn der angeblich schlafend verunfallte Beamte aus den eingangs erwähnten Medienberichten war in Wirklichkeit eine Kneipenwirtin im Ruhrgebiet.
Sie erlitt in der Tat einen Unfall im Schlaf, der aber nicht anerkannt worden ist. In ihrer Unfallanzeige führte die geschädigte Wirtin aus, dass sie morgens ihre Arbeit begonnen habe und gegen Mittag ihre Kneipe geöffnet habe. Es sei ein sehr warmer, aber auch ein sehr ruhiger Tag gewesen. Sie hätte nette, ruhige Gäste gehabt, mit denen sie noch geknobelt habe. Der letzte Gast sei gegen 0.30 Uhr gegangen. Sie habe dann die Gläser gespült, die Theke gesäubert und alle Lampen mit Ausnahme eines Lichtes gelöscht. Anschließend habe sie sich in eine Ecke gesetzt, um die Abrechnung vorzunehmen. Sie müsse darüber wohl eingeschlafen sein, denn sie habe sich nach einiger Zeit verletzt auf dem Fußboden liegend wiedergefunden. Sie müsse wohl auf die Eisenstange für die Füße gefallen sein.
Das Sozialgericht Dortmund (Urt. v. 20.09.1998, Az. S 36 U 294/97) verneinte einen Arbeitsunfall. Grundsätzlich fallen neben Essen und Trinken auch das Schlafen und ähnliche der Befriedigung eines persönlichen Bedürfnisses dienende Tätigkeiten, so der Sozialrichter, in den Bereich der nicht versicherten Eigenwirtschaftlichkeit. Während solcher Tätigkeiten sei im Allgemeinen die Beziehung zum Betrieb gelöst, auch wenn sich der Unfall auf der Betriebsstätte ereigne. Ausnahmsweise könne das Schlafen auf der Arbeitsstätte dann in Verbindung mit der versicherten Tätigkeit zu sehen sein, wenn der Arbeitnehmer infolge betrieblicher Überarbeitung vom Schlaf übermannt werde. Ein Arbeitsunfall könne ausnahmsweise vorliegen, wenn der Verletzte infolge außerordentlicher Anstrengung übermüdet auf der Arbeitsstätte eingeschlafen oder wenn der Schlaf auf andere betriebliche Gründe zurückzuführen sei. Dies sei hier aber nicht der Fall gewesen.
Ein anderer Beamter schlief
Also gibt es gar kein Urteil zu Beamten und ihrem Schlafdrang? Doch eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg (Beschl. v. 15.04.2011, Az. 5 LA 79/10) stellt klar, dass ein dreistündiger Schlaf im Auto den besonders geschützten Heimweg nach § 31 Abs. 2 BeamtVG bzw. Landesrecht unterbrechen kann.
Der Kläger leistete von 20 Uhr bis um 4.30 Uhr Nachtdienst. Anschließend trat er mit seinem PKW die Heimfahrt zu seiner ca. 200 Kilometer entfernt befindlichen Familienwohnung an. Wegen eintretender Übermüdung fuhr er um ca. 5.30 Uhr auf einen an der Autobahn gelegenen Rastplatz und schlief dort bis ca. 8.40 Uhr in seinem PKW. Dann nahm er die Fahrt wieder auf. Kurze Zeit später geriet der PKW auf der Autobahn ins Schleudern und rutschte in einen Straßengraben. Das OVG stellte klar, dass "eine drei Stunden und zehn Minuten lange schlafbedingte Unterbrechung der Rückfahrt auch im Falle einer ca. 200 Kilometer von der Dienststelle entfernt befindlichen Familienwohnung sowohl nach ihrer Art als auch nach dem zeitlichen Ausmaß nicht mehr in einem Zusammenhang mit dem Dienst steht, sodass es nicht gerechtfertigt ist, die Fortsetzung der Rückfahrt nach der Beendigung des Schlafes der Risikosphäre des Dienstherrn zuzurechnen."
Wer schläft, sündigt nicht, verliert aber zuweilen den Dienstunfallschutz.
Der Autor Dr. Sebastian Felz ist Referent in einem Bundesministerium (Bonn), als solcher Beamter und schläft nachts.
Eine Legal Urban Legend: . In: Legal Tribune Online, 06.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48656 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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