Der ehemalige Vorstandschef von Wirecard Markus Braun ist festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft München I wirft ihm "unrichtige Darstellung" und Marktmanipulation vor. Sein Unternehmen steckt mitten in einem Bilanzskandal.
Markus Braun habe sich am Montagabend gestellt, teilt die Staatsanwaltschaft München I am Dienstag mit. Die Ermittler hatten am Montag einen Haftbefehl gegen ihn beantragt und erhalten. Der Ex-Wirecard-Chef soll nun im Laufe des Tages der Ermittlungsrichterin vorgeführt werden, die über die Haftfortdauer entscheide.
Mit der Inhaftierung von Ex-Vorstand Braun hat der Skandal um das Dax-Unternehmen Wirecard einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Der Zahlungsdienstleister ist seit einer Artikelserie mit Vorwürfen in der britischen Financial Times Anfang 2019 in Bedrängnis. Mit einer Sonderprüfung früherer Bilanzen durch KPMG hatte der Vorstand den angekratzten Ruf des Konzerns eigentlich wieder aufpolieren wollen. Doch dies setzte eine unheilvolle Kette in Gang.
1,9 Milliarden Euro verschwunden
Vergangene Woche musste Wirecard ein weiteres Mal die Vorlage seiner Jahresbilanz für 2019 verschieben, weil die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (Ernst & Young) kein Testat für die Bilanz ausstellte. Den Prüfern fehlten Belege dafür, dass es 1,9 Milliarden Euro, die das Unternehmen auf Treuhänderkonten bei zwei philippinischen Banken verbucht hatte, tatsächlich gab. In der Nacht zum Montag hatte Wirecard dann eingeräumt, dass die Milliarden "sehr wahrscheinlich nicht existieren". Der Zahlungsdiensteabwickler prüft nun die nachträgliche Korrektur seiner Bilanzen der vergangenen Jahre. Markus Braun war vergangenen Freitag als Vorstandsvorsitzender zurückgetreten.
Braun soll, womöglich gemeinsam mit weiteren Tätern, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen von Wirecard durch vorgetäuschte Einnahmen aus Geschäften mit sogenannten Third-Party-Acquirern aufgebläht haben, so die Staatsanwaltschaft München I. Ziel sei es gewesen, das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen. Das Verhalten des Beschuldigten begründe den Verdacht der unrichtigen Darstellung jeweils in Tateinheit mit Marktmanipulation in mehreren Fällen gemäß § 331 Handelsgesetzbuch und § 119 Wertpapierhandelsgesetz.
Bafin prüft, und Anleger erwägen Schadensersatzklage
Auch die Finanzaufsicht Bafin hat angekündigt, den Fall Wirecard prüfen zu wollen. Die Deutsche Börse in Frankfurt erwägt ebenfalls Sanktionen, weil die Jahresbilanz nicht fristgerecht geliefert wurde. Die Anlegergemeinschaft SdK wiederum überlegt ebenso wie die Fondsgesellschaft DWS eine Schadensersatz-Sammelklage gegen Wirecard. Der SdK-Vorstand hat bereits eine Anwaltskanzlei eingeschaltet – die prüft, ob auch die Wirtschaftsprüfer von EY zivilrechtlich belangt werden könnten.
Wirecard selbst sieht sich nach den Worten eines Firmensprechers als mögliches Opfer eines "gigantischen Betrugs". Der Konzern will Anzeige gegen Unbekannt erstatten. In einer Stellungnahme des Vorstands heißt es: "Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirecard AG in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes zum Geschädigten geworden ist."
Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young gehen davon aus, dass "zu Täuschungszwecken" falsche Saldenbestätigungen für die Treuhandkonten ausgestellt wurden, und zwar von einem ungenannten Treuhänder oder zwei ebenfalls ungenannten asiatischen Banken.
ah/LTO-Redaktion
mit Material von dpa
Bilanzskandal beim Dax-Unternehmen: . In: Legal Tribune Online, 23.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41975 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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