Mehr Umsatz machen, neue Mandanten akquirieren, alle Prozesse gewinnen – die Wunschliste von Anwälten ist lang. Doch ein Wunsch ist noch lange kein Ziel, und wer ein Ziel hat, braucht eine Strategie, um es zu erreichen. Kanzlei-Beraterin Johanna Busmann erklärt im Interview, worauf es ankommt.
LTO: Wenn Kanzleien nicht so erfolgreich sind wie sie gerne möchten, liegt es Ihrer Ansicht nach daran, dass sie oft keine Ziele haben. Wie meinen Sie das?
Busmann: "Ziele sind Wünsche, denen eine Frist gesetzt ist", sagte mal ein Managementcoach . Das stimmt. Wünsche hat jeder. Ein Ziel hat kaum jemand. Anwälte flüchten sich gern in Wünsche, denn Wünsche sind folgenlos. Ziele zu haben, das ist dagegen für alle unbequem.
LTO: Was genau ist der Unterschied zwischen Wunsch und Ziel?
Busmann: Wünsche sind austauschbar, erfordern keine eigenen Verhaltensänderungen und haben keine zeitlichen Eckdaten. Wünsche sind weder quantifiziert noch spezifiziert. Wünsche kennen keine Niederlagen und sind für jeden anderen höchstens folkloristisch interessant. Im Gegensatz dazu beinhaltet ein Ziel die Antwort auf Fragen wie: Bis wann muss es geschafft sein? Wie viel wollen wir erreichen? Durch wen? In welcher Art und Weise?
LTO: Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Busmann: Testen Sie das mal privat: Wenn Ihr Mann sagt: "Ich würde mich gern wieder mit Alfred vertragen", stimmen Sie ihm immer zuerst zu: "Ja, das wäre wirklich gut". Dann fragen sie ihn nach den zeitlichen Eckdaten: "Bis wann willst du das schaffen?" Wenn Ihr Mann dann locker aufzählt, bis wann und wodurch, hat er ein Ziel. Wenn er entrüstet ist über die Kühle, die die Frage verströmt, wissen Sie: Das wird nix. Er hatte leider nur einen Wunsch. (lacht) In Partnersitzungen, die ich moderiere, kommt Letzteres immer wieder vor. Dann weiß ich: Ein echtes Ziel ist weit entfernt.
LTO: Was bedeutet das übertragen auf den Anwaltsmarkt?
Busmann: Auf der Anwaltswunschliste steht ganz oben: "Wir wollen Umsatz machen". Das ist schnell gesagt und wird am liebsten mehrfach täglich wiederholt. Wer aus diesem Wunsch ein Ziel machen will, wird unangenehme Fragen beantworten müssen, beispielsweise: Wozu wollen Sie mehr Umsatz machen? Und wodurch? Wie viel mehr soll es genau sein? In welcher Zeit wollen Sie das schaffen? Welche externen Maßnahmen sind dafür notwendig? Was muss dafür intern optimiert werden? Wer aus der Kanzlei macht was, um es zu schaffen? Wollen Sie expandieren oder sich spezialisieren? Welche Rechtsgebiete wollen Sie dazu gewinnen, welche abgeben? Was müssen Sie dabei bedenken? Wie weit, durch wen, wie und in welchen Feldern soll Expansion geschehen?
"Ziele sind Spielverderber"
LTO: Ihrer Erfahrung nach sind echte Ziele in einer Anwaltskanzlei eher selten. Wie kommt das?
Busmann: Ich treffe oft in Kanzleien eine Mischung aus intuitiver Stressvermeidung und fehlender Methodik an. Ziele wirken nun mal wie ekelhafte Spielverderber. Sie sind das Gegenteil von Aktionismus, Beliebigkeit und falsch verstandenem Individualismus. Ziele ziehen schmerzhafte Organisationsprozesse und verbindliche To-Do-Listen für jeden nach sich.
LTO: Was macht ein gutes Ziel aus?
Busmann: Ein richtig gutes Ziel hat einen Sog: Jeder hat seine Aufgabe. Ziele haben ein Enddatum und definierte Zwischenschritte mit spezifischen Aufgaben für jeden Einzelnen. Ziele müssen durch einen selbst erreichbar sein oder durch Delegation an andere. Einwände gegen diese Ziele müssen vor dem ersten Schritt behoben sein. Niemand rennt also hektisch los und schaut mal, ob und wo er ankommt. Einfach gesagt: Wenn das "Wozu" unklar ist, dürfen das "Was", das "Wie" und das "Bis wann" gar nicht thematisiert werden. Hunderte von Stunden Debatten über das Design des Briefpapiers sind deshalb eine vollkommen folgenlose Zeitverschwendung.
LTO: Gibt es Situationen, in denen ein Kanzlei-Ziel besonders wichtig ist?
Busmann: Vor, während und nach Kanzlei-Fusionen sind Ziele und Strategien von höchster Bedeutung. Denn Anwälte vergessen manchmal, dass eine Fusion nur eine von mehreren Methoden zum Ziel ist - und nicht das Ziel selbst! Eine fast schon rituelle Ratlosigkeit ist die Antwort auf die Frage nach dem Ziel in dieser Situation: Besonders in Kanzleien, deren schiere Größe als Qualitätskriterium herhalten muss, ist das direkt spürbar. Keiner ahnt, was der andere auf die Frage nach konkreten Zielen antworten würde!
Spätestens dadurch wird deutlich: Vor der Fusion muss bereits glasklar sein, was genau man am Markt durch die Fusion erreichen will. Zusammen mit den neuen Partnern wird dann nur noch die Strategie erörtert, wie dieses Ziel erreicht werden kann.
Geübte Partnerrunden suchen sich ihre neuen Partner nach dem vorher gefassten Ziel aus und abstrahieren das grobe Ziel nach der Fusion gemeinsam so weit, bis jeder in der neuen Konstellation zustimmen kann. Zum Beispiel: "Wir wollen im Umkreis von 400 km die einzige Kanzlei sein, die sämtliche Rechtsfragen rund um die Unternehmensübergabe klärt."
Anja Hall, Warum eine Kanzlei Ziel und Strategie braucht: . In: Legal Tribune Online, 18.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14723 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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