Strafrechtlich hat die Abgasaffäre für Martin Winterkorn und Rupert Stadler schon ein Nachspiel. Nach einer mehrjährigen Prüfung will VW nun auch zivilrechtlich gegen die beiden Ex-Top-Manager vorgehen.
Der Volkswagen-Konzern (VW) verlangt von seinem früheren Chef Martin Winterkorn und von Ex-Audi-Chef Rupert Stadler Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Dieselskandal. Dies teilte das Unternehmen am Freitag nach einer Sitzung des Aufsichtsrats mit.
Die Kontrolleure hatten zuvor die Ergebnisse umfangreicher Prüfungen in der Regressfrage diskutiert. Volkswagen erklärte, man werde die beiden ehemaligen Top-Manager nun "wegen aktienrechtlicher Sorgfaltspflichtverletzungen auf Schadensersatz in Anspruch nehmen". Welches finanzielle Ausmaß die Forderungen haben könnten, stand zunächst nicht fest. Im Fall anderer VW-Vorstandsmitglieder seien dagegen keine Verstöße festgestellt worden.
Gegenstand der Untersuchungen war, ob Winterkorn, Stadler und möglicherweise auch noch weitere damalige Führungskräfte vor dem Auffliegen der Affäre im September 2015 fahrlässige Management- und Kontrollversäumnisse vorzuwerfen sind - was letztlich die Manipulationen an weltweit Millionen Dieselautos ermöglicht oder zumindest nicht verhindert haben könnte. Die Kanzlei Gleiss Lutz beriet den VW-Aufsichtsrat zu diesem Thema und legte in dieser Woche ihren Abschlussbericht vor.
Nach Angaben der Kanzlei haben sich Untersuchung und Prüfung auf alle im jeweils relevanten Zeitraum amtierenden Mitglieder des Vorstands der drei Gesellschaften konzentriert. Dafür seien über 65 Petabyte Daten gesichert und insgesamt mehr als 480 Millionen Dokumente in Datenräume überführt worden. Man habe rund 1,6 Millionen Dateien als relevant identifiziert, gesichtet und überprüft sowie über 1.550 Interviews und Vernehmungen geführt. Zudem seien staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten, Berichte des US-Monitors sowie behördliche und gerichtliche Verfahren weltweit ausgewertet und berücksichtigt worden. Die jetzt abgeschlossene Untersuchung ist nach Kanzleiangaben die "mit Abstand umfangreichste und aufwändigste Untersuchung in einem Unternehmen in der deutschen Wirtschaftsgeschichte".
Aufklärungsarbeit unterlassen
Ein zentraler Befund: Winterkorn habe es in der Zeit nach einer als "Schadenstisch" bezeichneten Krisenkonferenz am 27. Juli 2015 unterlassen, "die Hintergründe des Einsatzes unzulässiger Softwarefunktionen in 2,0-Liter-TDI-Dieselmotoren, die in den Jahren 2009 bis 2015 im nordamerikanischen Markt vertrieben wurden, unverzüglich und umfassend aufzuklären". Er habe darüber hinaus nicht dafür gesorgt, "dass in diesem Zusammenhang gestellte Fragen der US-amerikanischen Behörden umgehend wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet werden".
Zum Fall Stadlers erklärte der Konzern, dieser habe es ab Ende September 2016 unterlassen, dafür zu sorgen, dass von Audi entwickelte größere Dieselmotoren - sie waren zusätzlich auch in Autos der Marken VW Pkw und Porsche eingebaut - "im Hinblick auf unzulässige Softwarefunktionen untersucht werden". Bei den Töchtern Audi und Porsche sollen den Angaben zufolge zudem Schadensersatzforderungen gegen die Ex-Manager Ulrich Hackenberg, Stefan Knirsch und Wolfgang Hatz geltend gemacht werden. Bei dem früheren VW-Entwicklungschef Heinz-Jakob Neußer sei dies schon geschehen, hieß es.
Ehemalige Führungskräfte bereits angeklagt
Winterkorn war vor gut fünfeinhalb Jahren von seinem Amt als VW-Chef zurückgetreten, kurz nachdem der Abgasskandal von US-Behörden und -Wissenschaftlern aufgedeckt worden war. Er hatte betont, sich keines Fehlverhaltens bewusst zu sein. Allerdings ging der VW-Aufsichtsrat weiterhin möglichen Schadensersatzansprüchen nach. Er hatte während des Verfahrens mehrfach erklärt, dass die Prüfung von Haftungsansprüchen gegen frühere oder amtierende Vorstandsmitglieder "umfangreich" sei. Man agiere hier vorbehaltlos und ohne Ansehen der Person.
Winterkorn wird wegen der Abgasaffäre auch vor Gericht stehen. Mitte September soll in Braunschweig der Prozess gegen ihn und vier weitere, teils ehemalige Führungskräfte wegen mutmaßlichen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs beginnen. Das Landgericht hatte den Beginn wegen der Corona-Lage kürzlich verschoben. Stadler steht wegen einer möglichen Mitverantwortung wegen der manipulierten Abgaswerte bereits vor dem Münchner Landgericht.
dpa/mgö/LTO-Redaktion
Gleiss Lutz für den Volkswagen-Aufsichtsrat (Kernteam):
Prof. Dr. Michael Arnold, Gesamtverantwortung Volkswagen, Audi, Porsche
Martin Hitzer, Federführung Volkswagen
Dr. Vera Rothenburg, Federführung Volkswagen
Steffen Carl, Federführung Audi
Dr. Adrian Bingel, Federführung Porsche
Dr. Gabriele Roßkopf, Federführung Porsche
Gleiss-Lutz-Team für den Aufsichtsrat der Volkswagen AG:
Dr. Hansjörg Scheel, Partner
Dr. Dirk Wasmann, Partner
Dr. Burghard Hildebrandt, Partner
Prof. Dr. Christian Arnold, Partner
Dr. Alexander Werder, Partner
Dr. Bernhard Busch, Partner
Dr. Christian Hamann, Partner
Dr. Detlef Schmidt, Of Counsel
Dr. Thomas Kreuz
Dr. Matthias Gärtner, Counsel
Nils Maiwurm
Katharina Bein
Dr. Simon Frye
Dr. Joscha Meyer
Lukas Neuhaus
Dr. Bettina Sauter
Dr. Michael Traub
Dr. Nikolai Unmuth
Dr. Jan-David Geiger
Daniel Bernhardt
Frank Buchhöcker
Martin Weil
Dr. Ricarda Zeh
Konrad Discher, Counsel
Dr. Christian Ditté
Dr. Daniel Görlich
Simon Wegmann
Aylin Hoffs
Tatjana Schmidt
Henrike Westphal
Dr. Dominik Monz
Carsten Fitting
Dr. Markus Martin
Moritz Stilz
Dr. Eva Koch, Counsel
Dr. Hilmar Hütten
Dr. Lars Kindler
Dr. Ulrike von Paris
Gleiss-Lutz-Team für den Aufsichtsrat von Audi:
Dr. Patrick Mossler, Partner
Dr. Tobias Harzenetter, Partner
Dr. Tobias Boecken, Partner
Dr. David Quinke, Partner
Dr. Stephan Dangelmayer
Dr. Julius Scheifele
Dr. Tobias Klemm
Dr. Julian Aicher
Melina Grauschopf
Dr. Daniel Widmann
Dr. Nadja Al-Wraikat
Anke Siemer-Arqc
Dr. Julia Egyptien
Laura de Leeuw
Dr. Stephan Kreifels
Simone Lindenmüller
Alexandra-Helene Schwager.
Gleiss-Lutz-Team für den Porsche-Aufsichtsrat:
Marie-Theres Lochner
Dr. Christian Bock
Dr. David Schneider
Dr. Stephanie Lumpp, Counsel
Dr. Johannes Culmann, Counsel
Richard Notz
Oliver Wolf
Dr. Matthias Schilde
Jan Hinrichs
Matthias Hahn
Maximilian Imre
Julia Schumann
Abgasaffäre: . In: Legal Tribune Online, 26.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44597 (abgerufen am: 17.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag