Bis Mitte Dezember müssen die EU-Länder die Richtlinie zum Hinweisgeberschutz umsetzen. Beim deutschen Gesetzentwurf gibt es Nachholbedarf, meinen Hans-Hermann Aldenhoff und Sascha Kuhn - vor allem im Arbeitsrecht und bei der DSGVO.
Bis zum 17. Dezember 2021 haben die Mitgliedstaaten Zeit, die EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (EU-Richtlinie 2019/1937 vom 23.10.2019, kurz EU-Hinweisgeberrichtlinie oder Whistleblower-Richtlinie) in nationales Recht umzusetzen. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat bereits im Dezember 2020 einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Das Gesetzgebungsverfahren ist allerdings aufgrund unterschiedlicher Auffassungen in der Regierungskoalition vorerst zum Stillstand gekommen.
Der deutsche Umsetzungsentwurf sieht unter anderem vor, dass sämtliche Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden sowie Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz ab 10 Millionen Euro verpflichtet werden, interne Whistleblowing-Systeme für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu errichten. Unternehmen aus dem Bereich des Finanzsektors trifft es besonders hart: Unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten müssen diese interne Hinweisgebersysteme einführen.
In Betrieben, in denen bereits ein Betriebsrat besteht, haben Arbeitnehmer bereits jetzt unabhängig von der Richtlinie und des Gesetzesentwurfs ein Beschwerderecht nach § 84 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gegenüber dem Betriebsrat. § 84 Abs. 3 BetrVG sieht darüber hinaus ein Benachteiligungsverbot vor.
Abwägung: Geheimhaltungsinteresse des Arbeitgebers vs. Offenlegungsinteresse
Das allgemeine Maßregelungsverbot gemäß § 612a BGB setzt dem Arbeitgeber zudem bereits jetzt Grenzen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) zieht das Benachteiligungsverbot, welches aus § 612a BGB folgt, weit, aber auch vage. So subsumiert das BAG verhältnismäßig viele Maßnahmen unter das Benachteiligungsverbot. Ob die Rechtsausübung der Maßnahme zulässig ist oder nicht, entscheidet es im Einzelfall. Klare Leitlinien statuiert es bisher nicht. Zweck des Benachteiligungsverbots ist nach Ansicht des BAG der Schutz der Willensfreiheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Diese sollen ihre Rechte ohne Furcht vor wirtschaftlichen oder sonstigen Repressalien des Arbeitgebers ausüben können.
Derzeit beurteilt die Rechtsprechung die Zulässigkeit des Whistleblowings anhand einer Abwägung zwischen Geheimhaltungsinteresse des Arbeitgebers und dem berechtigten Interesse des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin an der Offenlegung der Information. Für Whistleblower ist auf Grund der einzelfallbezogenen Rechtsprechung schwer einzuschätzen, ob das Aufdecken des Missstandes rechtlich zulässig ist oder nicht.
Das nunmehr geplante Hinweisgeberschutzgesetz soll die Rechtssicherheit verbessern und den bereits im Bereich der Finanzdienstleistungen oder aufgrund des Geschäftsgeheimnisgesetzes bestehenden Schutz von Hinweisgebern sektorübergreifend ausdehnen.
Einführung von Meldesystemen durch Arbeitgeber
Arbeitgeber sollten sich schon jetzt darauf vorbereiten, Meldesystem aktiv einzuführen und anzubieten.
Bei der Einführung eines neuen bzw. bei der Änderung bestehender Hinweisgebersysteme müssen sie den Betriebsrat beteiligen. Zum einen ist dies nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erforderlich, wenn das Hinweisgebersystem Meldepflichten statuiert. Zum anderen besteht ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, wenn technische Einrichtungen eingeführt oder angewendet werden sollen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen.
Unabhängig vom gewählten Meldeweg dürfen Hinweisgebern keine Nachteile erwachsen. So sind jegliche Repressalien, etwa Suspendierungen und Kündigungen, untersagt. Einige dieser Repressalien sind derzeit schon durch andere Gesetze, etwa das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, verboten.
Arbeitgeber muss künftig beweisen, dass Hinweis nicht kausal für Sanktion war
Neu ist, dass die Motivation des Arbeitnehmers keine Rolle mehr spielen darf, also nicht mehr wie bisher der richterlichen Würdigung unterliegt. Es genügt also fortan, einen Verstoß allein aus eigensüchtigen Motiven zu melden. Ob sich der Hinweis als zutreffend herausstellt, spielt für diesen Schutz künftig ebenfalls keine Rolle.
Aus diesem Grund wird es für Arbeitgeber zukünftig schwieriger, arbeitsrechtliche Sanktionen gegenüber Hinweisgebern zu verhängen oder ihr bloßes Direktionsrecht auszuüben. Denn Arbeitgeber müssen zukünftig beweisen, dass die konkrete Handlung, zum Beispiel eine Versetzung, nicht im Zusammenhang mit einem zuvor erfolgten Hinweis des Arbeitnehmers steht. Bisher trugen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Beweislast dafür, dass die Handlung des Arbeitgebers kausal auf dem Hinweis beruht. Dies kann dazu führen, dass Arbeitnehmer sich durch Abgabe eines Hinweises unkündbar machen und auf diese Weise selbst Probezeitkündigungen vom Arbeitgeber begründet werden müssen.
Es bleibt daher abzuwarten, ob die Rechtsprechung nicht eine interessengerechtere Beweisregel, wie eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast, formulieren wird. Denn Arbeitgeber werden erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um den abschließenden Beweis zu führen, dass die von ihnen ergriffene Maßnahme nicht im Zusammenhang mit dem Hinweis steht.
Schutz des Hinweisgebers nur bei gutgläubig abgegebenen Meldungen
Umgekehrt sind Hinweisgeber auch nur bei gutgläubig abgegebenen Meldungen geschützt. Werden vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Hinweise gemeldet, haftet der Hinweisgeber auf Schadensersatz. Somit sind Unternehmen vor einem Missbrauch geschützt.
Nicht ausschlossen ist, dass bereits heute Arbeitsgerichte die Whistleblowing-Richtlinie zu Rate ziehen und geltendes Recht europarechtskonform auslegen.
In Vorbereitung auf das Hinweisgeberschutzgesetz sollten Arbeitgeber fortan eine Leistungsdokumentation über ihre Angestellten führen – auch während der Probezeit und bei befristeten Arbeitsverhältnissen. So können sie in einem etwaigen arbeitsgerichtlichen Verfahren den Nachweis führen, dass die ergriffene Maßnahme nicht auf dem Hinweis beruht, sondern anderen Ursprungs ist.
Vertraulichkeitsgebot könnte gegen DSGVO verstoßen
Neben den arbeitsrechtlichen Themen werden aber auch datenschutzrechtliche Aspekte eine Rolle spielen: Nach den Vorgaben der Richtlinie können Hinweisgeber wahlweise anonym oder unter ihrem Namen Missstände anzeigen. Grundsätzlich soll der Hinweisgeber also vertraulich Meldungen erstatten können, ohne dass von der Meldung betroffene Personen, von dessen Identität Kenntnis erlangen. Es besteht insofern ein Vertraulichkeitsgebot. Entsprechende Regelungen sieht auch der aktuelle deutsche Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes vor.
Dies könnte jedoch grundsätzlich im Widerspruch zu den Regelungen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) stehen: Werden personenbezogene Daten ohne Kenntnis des Betroffenen erhoben, so ist diese Person grundsätzlich nach Art. 14 DSGVO über sämtliche Umstände der Datenverarbeitung zu unterrichten. Außerdem steht dem Beschuldigten der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO in Bezug auf seine verarbeiteten Daten zu. Nach Art. 17 der Richtlinie soll zudem weiterhin die Verarbeitung personenbezogener Daten im Einklang u.a. mit der DSGVO erfolgen, also auch unter Beachtung der vorgenannten Betroffenenrechte.
Daher stellt sich die Frage, inwiefern überhaupt die Identität des Hinweisgebers vertraulich behandelt werden kann.
Schutz der Identität des Whistleblowers
Die Datenschutzkonferenz hat in ihrer "Orientierungshilfe zu Whistleblowing-Hotlines vom 14.11.2018" betont, dass ein etwaiges Zurückhalten der Information nur so lange zulässig ist, wie das Risiko besteht, dass die Untersuchung bei Unterrichtung des Beschuldigten gefährdet wäre. Sobald dieser Aufschubgrund entfalle, sei die Information nachzuholen. Bislang ist also ein absoluter Schutz der Vertraulichkeit des Hinweisgebers nicht zu erreichen.
Nach § 29 Abs. 1 S. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) besteht das Auskunftsrecht nicht, wenn dadurch Informationen offenbart würden, die nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen geheim gehalten werden müssen. Insbesondere überwiegende berechtigte Interessen eines Dritten können zur Geheimhaltungspflicht führen. Daher ist an dieser Stelle eine einzelfallbezogene Interessenabwägung zu treffen: Auf der einen Seite steht das Interesse des Beschuldigten daran, die Person des Hinweisgebers zu kennen; auf der anderen Seite das Interesse daran, die Vertraulichkeit des Hinweisgebers zu wahren (vgl. Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 20.12.2018, Az. 17 Sa 11/18).
Erwägungsgrund 84 der Richtlinie fordert die Mitgliedstaaten explizit zu gesetzgeberischen Maßnahmen auf, die den Schutz der Identität des Whistleblowers sicherstellen. Zudem wird aufgrund der gesetzlichen Vorgaben des Art. 16 der Richtlinie nunmehr der Vertraulichkeitsschutz gesetzlich besonders privilegiert.
Zumindest im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 14 Abs. 5 lit. c) DSGVO i.V.m. § 29 Abs. 1 S. 1 BDSG wird man daher wohl den Schutz der Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers höher zu gewichten haben als das Informationsinteresse des Beschuldigten. Ein solches Verständnis steht im Einklang mit den Zielsetzungen der Gesetzesvorgaben zum Hinweisgeberschutz.
Dr. Hans-Hermann Aldenhoff, LL.M. ist Partner bei Simmons & Simmons in Düsseldorf. Er ist Country Head Germany und leitet die Praxisgruppe Dispute Resolution.
Sascha Kuhn, M.M ist ebenfalls Partner bei Simmons & Simmons im Bereich Konfliktlösung und Compliance.
Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie: . In: Legal Tribune Online, 10.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45665 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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